Andreas Meyer im Interview

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Was bedeutet die Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels für die SBB und den europäischen Bahnverkehr?

Wir freuen uns, von Ende 2016 an den längsten Eisenbahntunnel der Welt zu betreiben. Dass wir den Tunnel im Budget und sogar ein Jahr früher als ursprünglich geplant eröffnen können, ist nicht zuletzt Ausdruck des guten Schweizer Projektmanagements, das ich auch aus meiner Zeit bei ABB kenne. Der Gotthard-Basistunnel bringt Menschen und Güter schneller an ihr Ziel. Ende 2020 werden pro Tag rund 260 Güterverkehrszüge die Flachbahn durch die Alpen nutzen – fast 50 % mehr als heute. Die Fahrzeit im Personenverkehr verkürzt sich zwischen Zürich und Mailand um bis zu eine Stunde.

Welche besonderen Aufgaben sind für die SBB mit der Inbetriebnahme verbunden?

Die SBB ist verantwortlich dafür, dass alle Züge sicher, zuverlässig und pünktlich verkehren. Bis zur Inbetriebnahme gibt es Millionen von Details zu regeln, Tausende von Nachweisen zu erbringen, akribische Testreihen durchzuführen und zahlreiche Bewilligungen zu erarbeiten.

Welche technischen Neuerungen hat die SBB für die Fahrt durch den Basistunnel an den Fahrzeugen vornehmen müssen?

Wir haben unsere nationale Fahrzeugflotte für die erhöhten Anforderungen im Gotthard-Basistunnel bereit gemacht. Die Arbeiten betreffen vor allem den Brandschutz und die Führerstandssignalisierung der neuesten Generation und bringen einen Sicherheitsgewinn auf dem ganzen SBB-Netz.

Der Gotthard ist in Zukunft kein Hindernis mehr – vor welchen Herausforderungen steht der Bahnverkehr in Europa allgemein?

Der intermodale Wettbewerb, der Wettbewerb zwischen den einzelnen Verkehrsträgern, nimmt zu. Kunden können Komfort und Preis-Leistungs-Verhältnis immer besser vergleichen. Gleichzeitig steigen die Gesamtkosten der Bahnen, während die öffentliche Hand unter Spardruck steht. Und: Regulatorische und raumplanerische Anforderungen an Bahnen sind hoch und steigen tendenziell noch.

Wie werden sich der Bahnverkehr und unsere Mobilität in den kommenden Jahrzehnten Ihrer Ansicht nach entwickeln?

Neue Technologien bringen neue Lebens- und Arbeitsstile. Kunden wollen durchgängige, einfache Angebote von Tür zu Tür. Schiene gegen Straße war früher; in Zukunft werden die Kunden ihre Mobilität flexibel nach ihren ganz persönlichen – und wechselnden – Bedürfnissen gestalten. Zudem tauchen neue Elemente in der Mobilitätskette auf, zum Beispiel Fernbusse und womöglich auch selbstfahrende Fahrzeuge. Diese haben das Potenzial, zum öffentlichen Individualverkehr zu werden und die Lücke auf der klassischen letzten Meile zu schließen.

Welche technischen Innovationen sehen Sie kommen?

Die Digitalisierung ist auch für den öffentlichen Verkehr ein wichtiger Treiber. Sie erlaubt uns, die Mobilitätsangebote immer besser entsprechend individuellen Kundenbedürfnissen maßzuschneidern. Künftige Generationen werden nicht mehr wissen, was ein Fahrplan ist. Ein mögliches Beispiel: Wenn Sie einen geschäftlichen Termin in einer anderen Stadt haben, werden mit Ihrem Kalendereintrag auch gleich Hin- und Rückreise gebucht – und dies unter Berücksichtigung der jeweils geeignetsten Verkehrsträger.