Bessere Entscheidungen beim Schiffsbetrieb: mit ABB Ability™ Marine Pilot auf Zukunftskurs

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Intro

Die ABB Marine Pilot-Lösungen ergänzen menschliche Stärken und ermöglichen Seeleuten eine bessere Lagebeurteilung, einen einfacheren, sichereren und effizienteren Betrieb sowie eine vorhersehbare, konsistente Steuerung des Schiffs.

Trotz fortschrittlicher Navigationstechnik kommt es bei der Navigation von Hochseeschiffen noch immer stark auf die menschliche Wahrnehmung an. Der Mensch ist hervorragend im Umgang mit Unsicherheiten: Er löst Probleme mit Kreativität und nutzt sein Wissen und seine Erfahrung, um Entscheidungen zu treffen. Doch die menschlichen Sinne und Fähigkeiten sind für viele Situationen auf See nicht ausreichend.  

Als weltweit führender Anbieter von fortschrittlicher digitaler Technologie und Automatisierungstechnik für einen sicheren und effizienten Schiffsbetrieb stellte ABB sich die Frage, wie jüngste Entwicklungen auf dem Gebiet der Sensortechnologie, Datenanalyse und Rechenleistung genutzt werden können, um Seeleuten eine bessere Lagebeurteilung und Schiffssteuerung zu ermöglichen. Die Antwort von ABB ist die Einführung von digitalen, autonomen und remotefähigen Funktionen, die es Mensch und Maschine ermöglichen, zusammenzuarbeiten und ihre Fähigkeiten zu bündeln.  

Autonome Technologien können Besatzungen entlasten, damit sie sich auf Überwachungsaufgaben, Alarme, Navigationsmeldungen oder andere anfallende Aufgaben konzentrieren können. Dieses Zusammenspiel sichert eine optimale Leistungsfähigkeit, ganz gleich ob auf einer langen Überfahrt oder bei Anlegemanövern im Hafen. Die intelligenten Produkte der ABB Ability™ Marine Pilot-Familie – ABB Ability™ Marine Pilot Control und ABB Ability™ Marine Pilot Vision wurden entwickelt, um Seeleuten dabei zu helfen, eine sicherere, effizientere, konsistentere und berechenbarere Navigation und einen ebensolchen Schiffsbetrieb zu erreichen.

Die Brücke ist die Bühne

Trotz der Verfügbarkeit obligatorischer Navigationshilfen wie Radar, globales Navigationssatellitensystem (GNSS), automatisches Identifikationssystem (AIS), Kreiselkompass und elektronisches Seekartendarstellungs- und Informationssystem (ECDIS) auf der Brücke ist die Navigation noch immer stark von menschlichen Sinnen abhängig.  

In der Regel schaut der Ausguck – vielleicht mithilfe eines Fernglases, einer 400 Jahre alten Technologie – aus den Brückenfenstern und meldet seine Beobachtungen dem wachabenden Offizier. Dieser kombiniert die Meldungen mit unabhängigen Informationen von Navigationswerkzeugen und eigenem Fachwissen zu einem „geistigen Bild“ und beurteilt das mit der jeweiligen Situation verbundene Risiko (basierend auf den Beziehungen zwischen verschiedenen Eingaben und der Zuverlässigkeit der Informationen). Das Risiko kann dann gemindert werden, indem z. B. die Schiffsgeschwindigkeit so angepasst wird, dass ein sicherer und effizienter Betrieb gewährleistet ist.  

Die heutigen Systeme sind also von menschlicher Wahrnehmung, menschlichem Verständnis und menschlicher Interpretation abhängig – eine Abhängigkeit, die nicht ohne ist. So kann es z. B. sein, dass die Navigationshilfen kleine Objekte oder Objekte, die keine Radarsignale reflektieren, nicht erkennen. Und wenn der Ausguck diese Objekte nicht sieht, dann sind sie praktisch nicht existent.  

Eine weitere Herausforderung ist die Unabhängigkeit der Navigationsgeräte an Bord, die voneinander unabhängige Datenpunkte liefern. Diese „isolierten“ Informationen verhindern zwar kritische Ausfallpunkte, sind aber auch mit unnötiger Duplizierung und Komplexität für die Besatzung verbunden, die diese Informationen manuell beobachten, verarbeiten und anwenden müssen.

Der menschliche Faktor

Menschliche Sinne sind für langsame, dauerhafte oder großflächige Beobachtungen weniger geeignet. In Verbindung mit subjektiven manuellen Beobachtungen, zwischenmenschlicher Kommunikation und einem diskontinuierlichen Informationsfluss besteht die Gefahr, dass ein Ereignis übersehen wird oder es unterschiedliche Auffassungen von schwierigen Situationen auf See gibt.  

Die eingeschränkte Sicht von der Brücke macht z. B. zusätzliches Personal beim Anlegen und im Schleppbetrieb erforderlich. Dabei ist die Crew auf die manuelle Übermittlung (z. B. per Walkie-Talkie) von subjektiven Daten über die Größe und Entfernung von Hindernissen an die Brücke angewiesen. Schlechtes Wetter, Nebel und Dunkelheit können die Sicht und die Konzentration beeinträchtigen, und die Schiffsbewegungen können sich negativ auf die Fähigkeit der Crew auswirken, Veränderungen der Lage – z. B. ein sich näherndes anderes Schiff – zu erkennen. 

Monotone Situationen wie ein ruhiger sonniger Tag auf See mit „leerem“ Radarschirm können ebenfalls eine Herausforderung darstellen. Langeweile und schwindende Konzentration können dazu führen, dass ein sich langsam entwickelndes Ereignis nicht erkannt wird, sodass es auch unter günstigen Bedingungen bei praktisch leerer See zu einem Beinahezusammenstoß kommen kann. Solche Situationen stellen die Fähigkeit der Besatzung, zu beobachten, zu kombinieren, Informationen zu verarbeiten und entsprechend zu handeln, auf die Probe. 

Mehr Autonomie

Es gibt bereits autonome Lösungen, die Schiffsbesatzungen auf eine Art und Weise unterstützen können, die früher undenkbar war – objektiv, präzise, wiederholbar, durchgängig, beständig und mit verbesserter Systemredundanz. Mit den richtigen Sensoren sind autonome Systeme in der Lage, Beobachtungen vorzunehmen und konsistente und vorhersehbare Steuervorgänge zu initiieren, um Risiken in jeder Situation zu minimieren. Die ABB Marine Pilot-Produkte sind darauf ausgelegt, die Umgebung zu erfassen und erkennen. Sie fördern das Verständnis und Lösungen in allen Situationen und ermöglichen so einen sicheren Fahrweg und eine optimale Steuerung des Schiffs. Der Bediener bekommt einen vollständigen Überblick über die Lage und ein neues Bewusstsein für die Situation sowie die Möglichkeit zur vorausschauenden Steuerung für einen sichereren, effizienteren Schiffsbetrieb – ein echter Segen für Seeleute.  

Man stelle sich ein Schiff vor, das den offenen Ozean überquert. Der wachhabende Offizier kann ohne Weiteres seine gesamte Schicht damit verbringen, Ausschau zu halten und Radarschirme zu betrachten, ohne ein einziges Gerät anfassen zu müssen. Die Monotonie kann zu mentaler und physischer Ermüdung und verminderter Aufmerksamkeit führen. Eine mögliche Folge ist eine zu langsame Reaktion, sobald kritische Aufgaben erledigt werden müssen – etwa, wenn sich das Schiff einem stark befahrenen Gebiet nähert.  

Durch Automatisierung der Beobachtungen einschließlich Verknüpfung der Daten, Risikobeurteilung und Entscheidungsfindung könnte die Crew sich ausruhen oder sich anderen Tätigkeiten widmen, sodass die Aufmerksamkeit für kommende kritische Aufgaben erhalten bleibt. Der wachhabende Offizier könnte sein Wissen und seine Erfahrung bei Bedarf einsetzen. Indem sie den Menschen unterstützen und seine Stärken ergänzen, übernehmen die ABB Marine Pilot-Produkte Aufgaben, die außerhalb der Komfortzone der Besatzung liegen. So kann der Mensch seine Energie sparen und sich auf seine Stärken – z. B. das Beurteilen – konzentrieren. Das daraus resultierende Teamwork zwischen Mensch und Maschine trägt zur Verbesserung der Sicherheit und Effizienz bei und ermöglicht neue Betriebsweisen.

Visuelle Wahrnehmung

Unter Verwendung von Navigationshilfen und der eigenen visuellen Wahrnehmung bestimmt die Crew die Position und die Bewegung des Schiffs. Obwohl eine zuverlässige und fehlertolerante Beurteilung auch dann möglich ist, wenn eine Eingabe – z. B. das GPS – inkonsistente Daten liefert, bleibt das Verfahren anfällig für menschliche Fehler.  

Marine Pilot Vision unterstützt die Lagebeurteilung, indem es automatisch Daten fusioniert und Informationen verarbeitet, ohne sich allein auf menschliche Fähigkeiten zu verlassen – eine wichtige Voraussetzung für anspruchsvolle Betriebsabläufe.  

Marine Pilot Vision umfasst verschiedene Module zur Unterstützung betrieblicher Situationen, die stark von menschlicher Wahrnehmung abhängig sind. Dazu gehören die Dockingunterstützung (Docking Assistance), Ausguckunterstützung (Lookout Assistance) und Kollisionsvermeidung (Collision Avoidance). 

Dockingunterstützung

Das Modul bietet Unterstützung bei Manövern im Nahbereich, z. B. im Hafen, bei denen typischerweise mehrere Crews an Deck erforderlich sind, um Zwischenräume sowie die Entfernung und Ausrichtung des Schiffs zum Kai einzuschätzen. Die automatische Nahbereichsüberwachung in Echtzeit nutzt fusionierte Daten von mehreren Sensoren, um die tatsächliche Position des Schiffes, die Ausrichtung und die Entfernung zum Kai zu bestimmen – auch ohne GPS, da eine satellitenbasierte Positionierung in Küstenbereichen und Häfen aufgrund von Störungen häufig nicht möglich ist. 

Ausguckunterstützung

Das Modul ist dem menschlichen Ausguck nachempfunden und übernimmt die visuelle Überwachung der Umgebung – automatisch, kontinuierlich, kompromisslos, objektiv und mit Weitwinkel- oder Vollwinkel-Blickfeld Mithilfe konvolutionaler neuronaler Netze (CNN), die speziell auf die Erkennung und Klassifizierung von schifffahrtsrelevanten Objekten trainiert wurden, analysiert der Ausguckassistent eingehende Videostreams in Echtzeit, verarbeitet einzelne Frames (Korrektur von Störungen wie etwa Linseneffekte), lokalisiert verschiedene Objekte und weist Konfidenzwerte für die Erkennung zu.  

Da die relative Entfernung und Richtung der erkannten Objekte auf Kameradaten basiert, ist eine Kollisionsvermeidung auch für Objekte möglich, die von Navigationsradargeräten normalerweise nicht erfasst werden können (z. B. kleine Boote). 

Kollisionsvermeidung

Hochseetüchtige Schiffe verwenden bei Überfahrten für gewöhnlich eine im ECDIS vorgeplante Route, die dann vom Autopiloten ausgeführt wird, um einen sicheren Ablauf zu gewährleisten. Trotzdem kann es durch Unaufmerksamkeit oder Unfälle zu brenzligen Situationen kommen. In solchen Fällen sorgt die Kollisionsvermeidung für eine Minderung des Risikos.  

Was ist, wenn sich mehrere Schiffe in einer räumlich begrenzten Umgebung begegnen? Derzeit erfolgen die Risikobeurteilung, Entscheidungsfindung und Planung von Ausweichmanövern manuell und sind daher anfällig für menschliche Fehler. Das Modul zur Kollisionsvermeidung löst diese Herausforderungen, indem es diese Vorgänge automatisch, kontinuierlich und objektiv ausführt.  

Das System berücksichtigt alle Schiffe entlang der geplanten Route, bewertet die Risiken und berechnet einen sicheren Fahrweg. Zur Planung eines Ausweichmanövers werden fusionierte Daten aus verschiedenen Quellen, Fahrwasserdaten von elektronischen Seekarten und Kollisionsverhütungsregeln gemäß COLREG herangezogen. 

Anschließend wird ein sicherer und effizienter Fahrweg berechnet und der Kurs und/oder die Geschwindigkeit entsprechend angepasst. Die Entfernungen sind konfigurierbar und können auf der Basis verschiedener Kriterien angepasst werden. Für außergewöhnliche Situationen und lokale Abweichungen von den COLREG-Regeln sind ausgehend von verschiedenen Zielen, Navigationsstatus usw. verschiedene Verhaltensweisen programmiert. Das Modul bietet der Crew ultimative Unterstützung bei der sicheren Navigation von Schiffen aller Art und ermöglicht zusammen mit dem Marine Pilot Control-System eine autonome Kollisionsvermeidung.

Alles unter Kontrolle

Trotz ihrer weiten Verbreitung sind der Autopilot und die dynamische Positionierung (DP) zwei separate Systeme mit unterschiedlichem Nutzen. Der zur Steuerung von Kurs und Geschwindigkeit bei Überfahrten auf offener See entwickelte Autopilot geht von einem reibungslosen Betrieb und sich langsam verändernden Bedingungen aus. Er ist nicht geeignet für eine präzise Steuerung und das Manövrieren in engen Fahrwassern oder Häfen.  

DP-Systeme hingegen gehen von einem Stillstand des Schiffes aus und sind ideal für Manöver mit geringer Geschwindigkeit oder das automatische Halten einer Position. Bei geringen Geschwindigkeiten gelten vereinfachte hydrodynamische Modelle des Schiffes und seiner Strahlruder, d. h. geschwindigkeitsabhängige Phänomene wie nichtlineare Dämpfung oder Ruderund Strömungswiderstandseffekte von Strahlrudern werden vernachlässigt. Hier sind linear-quadratische Regelungslösungen gängig. Daher sind DP-Systeme für die dynamische Steuerung bei höheren Geschwindigkeiten nicht geeignet.  

ABB Marine Pilot Control ermöglicht die Nutzung eines einzigen Steuerungssystems für die gesamte Fahrt. Durch Lockerung der Geschwindigkeitsannahmen eines traditionellen DP-Systems können auch die geschwindigkeitsabhängigen hydrodynamischen Effekte bei der Steuerung berücksichtigt werden, was besonders für Azipod®-Antriebe wichtig ist. Trotz ihrer Komplexität ermöglichen die daraus resultierenden nichtlinearen modellprädiktiven Regelungsalgorithmen (MPC) ein automatisches Manövrieren des Schiffes bei Stillstand und höheren Geschwindigkeiten sowie bei der Fahrt in offenen Gewässern.  

Marine Pilot Control stellt der Crew also ein einziges Steuerungssystem für alle Fahrsituationen bereit und imitiert so das Verhalten erfahrener Kapitäne, die die Schiffsgeschwindigkeit, den Rudereffekt der Strahlruder und die dynamischen Betriebsbedingungen zu ihrem Vorteil nutzen. Darüber hinaus können Ereignisse antizipiert werden, was für die Nachahmung menschlicher Fähigkeiten entscheidend ist. Wenn ein Kapitän weiß, dass er das Schiff demnächst stoppen oder drehen will, wird er die Strahlruder im Voraus in die richtige Richtung stellen. Die nichtlinearen MPC-Algorithmen von Marine Pilot Control machen dies ebenfalls möglich. Das Ergebnis ist eine schnellere und präzisere Steuerung im dynamischen Betrieb – z. B. bei Hafenmanövern und beim Anlegen – sowie ein genauer Fahrweg unter beengten Verhältnissen. 

Marine Pilot Control ermöglicht zudem die Steuerung per Joystick bei allen Geschwindigkeiten sowie einen automatisierten Betrieb, z. B. für Anlege-, Fahr- und Notstopp-Manöver. Das Ergebnis ist eine bessere Konsistenz und Berechenbarkeit des Betriebs und somit eine höhere Pünktlichkeit und ein geringerer Kraftstoffverbrauch.  

Marine Pilot Control ist als DP-System für Offshore-Schiffe mit DP2-Anforderungen zugelassen und kann in Kombination mit Marine Pilot Vision und Collision Avoidance für einen autonomen Betrieb aufgerüstet werden. Dies erleichtert die Reaktion auf sich verändernde Umgebungen und dynamische Situationen, während die Crew über zu erwartende Situationen und geplante Handlungen informiert wird. 

Autonomer und ferngesteuerter Schlepperbetrieb

Um die Sicherheit des fehlertoleranten Designs von Marine Pilot Control und die Steuerung per Joystick beim Manövrieren rund um einen Liegeplatz zu evaluieren, haben ABB und Keppel Offshore & Marine im Jahr 2021 den autonomen und ferngesteuerten Betrieb erfolgreich an einem Schlepper im stark befahrenen Hafen von Singapur getestet.  

Dabei nutzte Marine Pilot Vision die Navigationsdaten des Schleppers zur Erstellung einer virtuellen Ansicht des Schiffs und seiner Lage in Relation zu vorhandenen Hindernissen. Die Daten wurden an ein Kommandozentrum an Land übertragen, wo sie dem Bediener beim Steuern des Schiffs bzw. im autonomen Betrieb ein erweitertes Bild der Lage lieferten. Tests zur Kollisionsvermeidung finden zurzeit statt. Die Tatsache, dass Marine Pilot Control auf einem Prinzip der Fehlertoleranz gegenüber Einzelfehlern basiert, ist die Gefahr eines Ausfalls gering. Solche Tests unter realen Bedingungen sind von entscheidender Bedeutung, da jedes autonome Schiff in der Lage sein muss, nicht nur in künstlich beruhigten Bereichen, sondern auch in Gegenwart echter Schiffe, Bojen usw. sicher zu operieren. 

Blick in die Zukunft

Innovationen wie die ABB Marine Pilot-Lösungen kommen allen Seeleuten zugute, denn sie ermöglichen eine bessere Lageeinschätzung, einen einfacheren, sichereren und effizienteren Schiffsbetrieb sowie eine vorhersehbare, konsistente Steuerung. Mit fortscheitender Entwicklung der entsprechenden Vorschriften werden Upgrades der Software in Zukunft weitere Funktionen für einen autonomen und ferngesteuerten Betrieb enthalten.  

Auch wenn eine unbeaufsichtigte Brücke auf einem Hochseeschiff heute noch schwer vorstellbar ist [5], ebnet ABB den Weg dahin mit der Entwicklung von Produkten, die die Voraussetzungen für eine autonome Navigation unter realen Bedingungen erfüllen.