Emissionsfreie Schifffahrt: Mit Flüssigsalzreaktoren in die maritime Zukunft

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Als der norwegische Schiffbauer und Konstrukteur Ulstein im April 2022 ein Konzept für eine wirklich nachhaltige, emissionsfreie maritime Zukunft vorstellte, klangen die Details wie ein Aprilscherz: Die ULSTEIN THOR, ein 149m langes 3R-Schiffskonzept (Replenishment, Research & Rescue), versprach dank eines Thorium-Flüssigsalzreaktor (MSR) einen komplett emissionsfreien Betrieb. THOR ist ein Schiff, das nie aufgetankt werden muss und die maritime Industrie revolutionieren könnte. Das schnittige Schiff, das auch in einem James-Bond-Film eine gute Figur machen würde, verfügt über Hubschrauberlandeplätze, Rettungsausleger, Arbeitsboote, autonome Oberflächenfahrzeuge und Flugdrohnen, Kräne, Labore und eine Vortragshalle. 

Doch ist THOR keinesfalls ein Scherz oder PR-Gag. THOR ist mehr als ein Schiff – es ist ein schwimmendes Mehrzweckkraftwerk. Und was wie Science-Fiction klingt, könnte bald Realität werden. 

Der speziell skalierte Thorium-Flüssigsalzreaktor nutzt mit Thorium ein reichlich vorhandenes, natürlich vorkommendes Metall mit geringer Radioaktivität, um große Mengen an sauberer, sicherer Energie zu erzeugen. Vereinfacht gesagt wird das radioaktive Thorium in flüssigem Salz gelöst und löst eine Kettenreaktion aus, durch die das Salz erhitzt wird, was wiederum Dampf erzeugt, der eine Turbine antreibt und Strom erzeugt. Das Verfahren ist eine bewährte Lösung an Land, wurde aber noch nie in ein Schiffskonzept integriert. 

„Jeder hat den Wunsch, die maritime Industrie nachhaltig zu machen - auf einen emissionsfreien Betrieb umzustellen und unsere ehrgeizigsten Klimaziele zu erreichen. Aber bis jetzt war niemand in der Lage, ein technologisches Konzept für die anspruchsvollsten Anwendungen in der Branche zu präsentieren. Nun, wir glauben, das ist es. THOR ist die Zukunft."

Øyvind G. Kamsvåg, Chef-Designer bei Ulstein

Øyvind G. Kamsvåg Chefdesigner bei Ulstein und Torill Muren, leitende Schiffsarchitektin, Ulstein Design & Solutions

Um die THOR kommerziell zu vermarkten, hat Ulstein das Konzept zusammen mit ULSTEIN SIF auf den Markt gebracht: ein 100 Meter langes, batteriebetriebenes Expeditionskreuzfahrtschiff der Eisklasse 1C mit 160 Personen an Bord (POB). Die THOR, die für das gleichzeitige Aufladen von vier SIF-Einheiten ausgelegt ist, demonstrierte damit, wie Kreuzfahrtschiffe mit Batterien der nächsten Generation in abgelegenen, ökologisch sensiblen Gebieten emissionsfrei betrieben werden können. Neben dem Aufladen, dem Auffüllen von Vorräten und der Durchführung von Forschungsarbeiten kann das Schiff auch Rettungseinsätze in entlegenen Gebieten, z. B. in den Polarregionen, durchführen. 

ULSTEIN sieht eine Vielzahl von Anwendungen und Einsatzmöglichkeiten, bei denen die saubere Stromerzeugungskapazität von THOR genutzt werden kann. So könnte der Reaktor des Schiffes als Notstromversorgung für Regionen dienen, die von Naturkatastrophen, Epidemien oder anderen Umwälzungen betroffen sind. Ebenso könnte er als Teil des erneuerbaren Energiemixes genutzt werden, um schwankende Stromlieferungen – z. B. aus Offshore-Windparks – auszugleichen. Und die Energiekapazität von THOR könnte auch für die Herstellung alternativer oder synthetischer Kraftstoffe durch eine CO2-Raffinerie oder für die Bereitstellung von Landstrom in Häfen genutzt werden.  

Mehr zum Thema Thorium als alternativer Treibstoff für die Schifffahrt im Interview mit Robert McDonald, leitender Ingenieur am Institute for Energy Technology (IFE).

Sind kleine modulare Reaktoren (SMR) für maritime Anwendungen geeignet? 

Kleine modulare Reaktoren sind eine bewährte, hocheffiziente Technologie, die im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energiequellen wie Solar- und Windkraftanlagen nur eine sehr geringe Stellfläche benötigt. Sie werden in der Regel in Fabriken gebaut und vor Ort endmontiert, wodurch sie leicht zu installieren und, da sie modular aufgebaut sind, sehr skalierbar sind. Ihre Entwicklung wird in der Regel mit landgestützten Anwendungen in Verbindung gebracht, aber sie haben auch ein großes Potenzial für die Schifffahrt. Ich persönlich glaube, dass sie sehr gut geeignet sind. 

 

Was macht Thorium so besonders? 

In erster Linie ist es die Energiedichte. Eine Tonne Thorium, das in der Erdkruste, insbesondere hier in Norwegen, reichlich vorhanden ist, erzeugt die Energiemenge, die 3,5 Millionen Tonnen Kohle entspricht. Darüber hinaus ist es im Rahmen der bewährten SMR-Kraftwerke völlig emissionsfrei. 

 

Ist Thorium sicher? 

Obwohl Thorium bereits in den 1950er und 60er Jahren in Reaktoren verwendet wurde, gibt es derzeit keine Reaktoren, die es einsetzen. Die bisher durchgeführten Tests sind jedoch sehr vielversprechend. Entscheidend ist, dass seine Nebenprodukte wesentlich sicherer sind als Uran (Plutonium entsteht nicht durch Spaltung) und aufgrund der kürzeren Halbwertszeit viel schneller abgebaut werden. Eine Bewaffnung stellt daher kein Risiko dar, was eine größere Sicherheit für die kommerzielle Nutzung bedeutet. Bei der Verwendung in Schmelzsalzreaktoren fallen außerdem weniger Abfälle an als bei Uran, da das Salz nach seiner Verwendung wiederaufbereitet und dann zu neuen Brennstoffchargen recycelt wird. Außerdem liegen mehrere Jahre zwischen den einzelnen Brennelementwechselzyklen! Die Reaktoren selbst befänden sich in versiegelten, in sich geschlossenen und mit Blei ausgekleideten Kammern und würden sich bei einem Stromausfall automatisch abschalten. Es gäbe auch keinen Grund, beim Verlust eines Behälters mit Lecks zu rechnen. Wie wir bei früheren Verlusten von Schiffen mit Nuklearantrieb – namentlich der USS Thresher (1963) und der Kursk (2000) – gesehen haben, war die Integrität der Reaktorkammern nicht gefährdet. Wir können nie sagen, dass ein Brennstoff zu 100 Prozent sicher ist, aber wir können sagen, dass wir hier das Risikobild kennen – im Gegensatz zu einigen anderen neuen, alternativen Brennstoffen – und Thorium sieht in der Tat sehr vielversprechend aus. 

 

Welche einzigartigen Vorteile bietet es der maritimen Industrie? 

Abgesehen von dem, was wir bereits erwähnt haben – vor allem seine “saubere” Natur und sein Energiepotenzial – könnten die Auswirkungen auf den Seeverkehrsbetrieb von grundlegender Bedeutung sein. Derzeit ist jede Reise, jede Aufgabe vom Treibstoff abhängig; man hat ein begrenztes Zeitfenster, das man einhalten muss. Wenn man jedoch so gut wie nie tanken oder Wartungsarbeiten durchführen muss (und Reaktoranlagen haben wesentlich weniger bewegliche Teile und erfordern sehr wenig Wartung), dann kann man die Energiebeschränkungen im Grunde ganz vergessen und einfach loslegen. Das ist eine sehr spannende Idee. 

 

Glauben Sie, dass Thorium- und SMR-Reaktoren in naher Zukunft an Bord von Schiffen sein werden? 

Ich werde Ihnen keine eindeutige Antwort geben, aber ich kann sagen, dass wir mit vielen Interessengruppen sprechen, die sehr daran interessiert sind, mehr darüber zu erfahren. Das Interesse an Thorium als Brennstoff und an SMR als Technologie nimmt in diesem Jahr stark zu, so dass ich glaube, dass wir in Zukunft viele Entwicklungen sehen werden. Das IFE als Organisation ist dazu da, die Gesellschaft – und die Schifffahrt – auf ihrem Weg in die Zukunft mit sauberer Energie zu unterstützen. 

 

Das in Norwegen ansässige IFE ist ein Vorreiter in der internationalen Energieforschung und beschäftigt mehr als 650 Experten aus 38 Ländern weltweit. Als unabhängige, gemeinnützige, private Forschungsorganisation unterstützt es Industrie und Gesellschaft bei der Erforschung und Entwicklung energieeffizienter Prozesse, erneuerbarer Energielösungen, zukunftsorientierter Energiesysteme und vielem mehr. Der in den USA geborene Robert McDonald ist Spezialist auf dem Gebiet der Kernkraft und der kleinen modularen Reaktoren – Anlagen mit einer Leistung von 10-300 Mwe – und ist der Meinung, dass die Gesellschaft mehr über das “enorme saubere Energiepotenzial” von Thorium wissen sollte. Der Artikel erschien ursprünglich auf der internationalen Website „Generations“ von ABB: https://new.abb.com/marine/generations