Kalter Stahl heiß gepresst

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Als Spezialist für automobile Sonderlösungen fertigt die IndiKar Individual Karosseriebau GmbH Komponenten, die Fahrzeuge gegen eine Vielzahl von ballistischen Bedrohungen schützen. Durch Warmumformung, an der ein ABB-Roboter vom Typ IRB 7600 maßgeblich beteiligt ist, erhalten die Karosseriebauteile aus Stahl ihre größtmögliche Festigkeit.

Wer zivile Sonderschutzfahrzeuge entwickelt und fertigt, muss komplexe Fachkenntnisse besitzen. Einerseits sollen die optische Anmutung und die Ergonomie des Serienmodells weitgehend erhalten bleiben, andererseits müssen die Fahrzeuge ausreichenden Schutz vor Schusswaffen und Explosionen bieten. Kurz gesagt: Es geht um den Mittelweg zwischen Komfort und Sicherheit.

Bis zu 1.000 °C

IndiKar mit Sitz im sächsischen Wilkau-Haßlau fertigt unter anderem Stahlkomponenten aus einer eigens entwickelten Legierung mit besonders hoher Festigkeit. Sie verhindern, dass Projektile die Karosserie durchdringen. Als Produktionsverfahren setzt IndiKar auf das Presshärten. Dabei werden die Rohteile zunächst auf knapp 1.000 °C erhitzt und anschließend in einer Presse umgeformt. Während des Pressvorgangs kühlen die Komponenten ab und härten vollständig aus. Anfang 2017 hat IndiKar das Technologiezentrum Presshärten eingeweiht und führt die Warmumformung von Materialien zum Schutz vor ballistischen Angriffen jetzt komplett in Eigenregie durch. Bei der teilautomatisierten Anlage spielt ein ABB-Roboter vom Typ IRB 7600 die Hauptrolle. Er greift die von einem Werker bereitgelegten Stahlplatinen und legt sie zunächst in einen Ofen, der die Rohlinge auf Temperatur bringt. Anschließend entnimmt der Roboter die glühenden Platinen wieder und legt sie in eine Presse ein, die mit einem Gewicht von 1.000 t aus den Rohlingen fertige Bauteile formt.

Roboter mit präzisem Handling

Für die Entscheidung von IndiKar, bestimmte  Prozessschritte der Warmumformung zu automatisieren, waren mehrere Gründe ausschlaggebend. Das manuelle Handling der glühenden Platinen, die bis zu 100 kg wiegen können, ist durch einen Werker nicht möglich. Zudem sind beim Entnehmen aus dem Ofen und beim Einlegen in die Presse eine schnelle Handhabung und eine hohe Wiederholgenauigkeit gefordert.

„Dass das Bauteil auf dem Weg vom Ofen zur Presse möglichst wenig abkühlt, ist ein entscheidender Gütefaktor für das spätere Endprodukt“, sagt Philipp Baumann, der bei IndiKar für Vertrieb und Marketing verantwortlich ist. „Mit dem Roboter erhöhen wir nicht nur die Entnahmegeschwindigkeit aus dem Ofen, sondern auch die Präzision beim Einlegen in die Presse, was hohe Bauteilgenauigkeiten ermöglicht.“ Um den Prozess zusätzlich zu optimieren, ist am IRB 7600 ein Greifer mit geringer Wärmeabführung montiert und der Ofen öffnet dank einer Servounterstützung besonders schnell. Dass der Roboter auf einer Verfahrachse montiert ist, sorgt für zusätzliche Reichweite.

„Mit dem Roboter erhöhen wir die Präzision beim Einlegen der Stahlplatinen in die Presse.“

Intelligente Software

Die Anlage bei IndiKar umfasst eine echte ABB-Innovation: Zum ersten Mal hat das Unternehmen – gemeinsam mit dem Systemintegrator AED Automation GmbH – das Funktionspaket Stamp-Pack in Deutschland verbaut. Das Herzstück dieser flexiblen Lösung für Stanz- und Umformprozesse ist die Software StampApp. „Dank StampApp benötigen wir für den Tisch, von dem der Roboter die Rohteile greift, für den Ofen und für die Presse keine separate speicherprogrammierbare Steuerung und keine Liniensteuerung mehr“, erklärt Conrad Ender aus dem Technical Sales Support – Welding & Cutting bei ABB. „Die Geräte übermitteln ihren Status direkt an die Robotersteuerung.“

In der Software ist eine Prozessmatrix hinterlegt; die einzelnen Stationen können direkt miteinander kommunizieren. Zum Beispiel greift der Roboter erst dann eine Stahlplatine und legt sie in den Ofen, wenn er das Signal erhält, dass der Tisch beladen und der Ofen auf Temperatur ist. Ein weiterer Vorteil: Änderungen der Programmierung können direkt über das Handbediengerät erfolgen. Das verkürzt die Zeit für die Inbetriebnahme und für spätere Prozessanpassungen. „StampApp erzeugt ein virtuelles Abbild der tatsächlichen Anlage“, sagt Conrad Ender. „Über die grafische Bedienoberfläche lassen sich die einzelnen Punkte der Roboterbahn visuell anstatt rein codebasiert programmieren.“

Bei Bedarf flexibel

Die teilautomatisierte Anlage für das Presshärten ist ideal auf die Bedürfnisse von IndiKar zugeschnitten. So überzeugt sie unter anderem mit ihrer Flexibilität. Neben der Warmumformung ist es auch möglich, die Bauteile kalt umzuformen. Zudem ist der ABB-Roboter in der Lage, noch einen zweiten Ofen zu bedienen, um die Taktzeiten bei Bedarf zu verkürzen. „Als Spezialist für Kleinserien setzen wir die Anforderungen der Automobilhersteller im Bereich Sonderschutzfahrzeuge flexibel und zielgenau um“, sagt Philipp Baumann. „Dabei bieten wir unseren Kunden hinsichtlich der Materialstärke immer den idealen Kompromiss: so dick wie nötig, aber so dünn und leicht wie möglich.“