Mit Luft und Leitsystem

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Die beiden Luftzerlegungsanlagen LZA 4 und LZA 5 am Standort Bremen steuert die Linde Gases Division mit dem ABB-System 800xA. 2015 hat sich das Unternehmen dazu entschieden, das Prozessleitsystem der LZA 4 auf Version 6.0 upzugraden – als erster Nutzer in Deutschland überhaupt. Die zweite Anlage folgt im Herbst 2016.

Mit einem Umsatz von 17 Mrd. Euro im Jahr 2014 ist die Linde Group das größte Gase- und Engineering-Unternehmen der Welt. Die technischen Gase des Marktführers spielen in metallurgischen Prozessen, in der Chemie- und Pharmaindustrie, in der Lebensmittelbranche, im Bauwesen sowie bei der Herstellung und Verarbeitung von Glas, Metallen und elektronischen Bauteilen eine wichtige Rolle.
Als Teil der weltweiten Unternehmensgruppe betreibt Linde Gas in Deutschland 22 Luftzerlegungsanlagen (LZAs) an 14 Standorten. LZAs trennen die Luft – ein Gasgemisch aus Stickstoff, Sauerstoff, Argon und weiteren Edelgasen – mittels Rektifikation in ihre Bestandteile. Dazu wird die Luft zunächst auf ungefähr sechs Bar verdichtet, gereinigt und dann schrittweise abgekühlt, bis sie sich verflüssigt. Bei der eigentlichen Luftzerlegung kommen dann die unterschiedlichen Siedepunkte der einzelnen Gase zum Tragen, um Stickstoff, Sauerstoff und Argon zu destillieren und voneinander zu trennen. Die Rektifikation lässt sich als mehrstufiger Prozess so oft wiederholen, bis die Gase in der gewünschten Reinheit vorliegen. Anschließend werden die Gase in Flüssigtanks gelagert oder per Rohrleitung direkt an das Stahlwerk des Kunden ArcelorMittal in Bremen geliefert.

Virtuelle Umgebung

Am Linde-Standort Bremen steuert und überwacht das ABB-Leitsystem 800xA die beiden Luftzerlegungsanlagen LZA 4 und LZA 5, die an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr in Betrieb sind. Als erstes Unternehmen in Deutschland stellte Linde Gas im Herbst 2015 bei der LZA 4 auf die neueste Version 6.0 des Prozessleitsystems um. „Ein Grund für das Upgrade war die Einstellung des Supports für Windows XP und Windows 2003 Server“, erklärt Stephan Rottenwallner, Leiter Technische Netzwerke und Automatisierung bei Linde Gas. „Außerdem war unsere Rechnerhardware in Bremen in die Jahre gekommen und bereits störanfällig, was die Anlagenverfügbarkeit beeinträchtigte.“
ABB hat die alte Rechnerhardware abgelöst und das System mit ESXi- Maschinen komplett virtualisiert. Der Engineering-Arbeitsplatz und die vier Bedienplätze sind jetzt mit Thin Clients ausgestattet, die über ein Remote-Desktop-Protokoll auf die 800xA-Bedienoberfläche des Terminalservers zugreifen. „Wir haben das System komplett in das Technische Netzwerk von Linde Gas integriert und auch das Remote Operation Center in Leuna angebunden“, sagt ABB-Projektleiter York Lorek. „Alle Rechner sind von einem zentralen Ort aus erreichbar, was beim Einspielen von Sicherheitsupdates hilfreich ist und die Fernwartung per Remote-Zugriff erlaubt.“

„Wir haben das System komplett in das technische Netzwerk von Linde Gas integriert und auch das Remote Operation Center in Leuna angebunden.“

Erst Hannover, dann Bremen

Das Projekt musste innerhalb von nur vier Monaten realisiert werden. Zudem hatte Linde die Anforderung formuliert, die Stillstandszeit der LZA 4 beim Einspielen des Upgrades möglichst kurz zu halten. Diese Rahmenbedingungen beeinflussten den umfangreichen Factory Acceptance Test (FAT) bei ABB in Hannover. Drei Tage lang prüften die verantwortlichen Linde-Mitarbeiter und das ABB-Projektteam die neue Leittechnikversion auf Herz und Nieren. Soft-Controller simulierten die sieben Hardware-Controller vom Typ AC800M, die bei Linde im Einsatz sind und von denen sechs redundant arbeiten. Hier zeigte sich einer der Vorteile der 800xA-Version 6.0: Während in früheren Versionen nur ein Soft-Controller eingesetzt werden konnte, lassen sich nun bis zu zehn von ihnen einbinden. „Beim FAT konnten wir sämtliche Funktionen des Leitsystems darstellen und zeigen, dass sich die Steuerungsplattform auch in der neuesten Version so komfortabel wie gewohnt bedienen lässt“, sagt York Lorek.

Notversorgung läuft weiter

Für die Abstellung und die geplante Revision der LZA 4 musste die Luftzerlegungsanlage vor dem Upgrade zunächst auf Umgebungstemperatur erwärmt und drucklos gemacht werden. Das eigentliche Upgrade führte ABB innerhalb eines Tages durch. Anschließend wurde die LZA 4 wieder auf die Betriebstemperatur von –196 °C kaltgefahren und nahm nach insgesamt fünf Tagen Stillstand den Betrieb wieder auf. Damit Linde während des Upgrades bestehenden Lieferverpflichtungen gegenüber seinen Kunden nachkommen konnte, hatte ABB im Vorfeld den Anlagenteil „Notversorgung“ separiert. Das Projektteam um York Lorek hatte den Anlagenteil dafür mit dem Bedienfeld PP885 der Serie Panel 800 ausgestattet, das unabhängig vom System 800xA direkt mit dem Controller AC800M kommunizierte.

Das Fazit zum Upgrade fällt positiv aus. „Mit der Version 6.0 sind wir auf dem aktuellen Stand der Technik und stellen eine längere Betriebszeit des Leitsystems sicher“, sagt Stephan Rottenwallner. „Zudem ließ sich die neue Version problemlos in das Linde Technical Network einbinden.“ Gemeinsam gehen Linde Gas und ABB bereits das nächste Projekt an: Das Upgrade der LZA 5 auf Version 6.0 ist für Herbst 2016 geplant.