Prof. Dr. Armin Grunwald im Interview

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Wie bewerten Sie die Risiken der Energiewende angesichts unserer Abhängigkeit vom Strom?

Das ist ein Dilemma. Bislang hat das System die Abschaltungen von Kernkraftwerken gut ausgehalten, doch es steht viel stärker unter Druck als früher und die Netzbetreiber müssen häufiger eingreifen, um es stabil zu halten. Da die Energiewende beschlossen ist, müssen wir mit den Folgen umgehen und auf technischer und organisatorischer Seite Lösungen zur Stabilitätssicherung suchen. Hier ist auf vielen Ebenen Forschung und Entwicklung gefragt, von der Technik bis hin zu neuen Modellen der Organisation und der Verteilung von Verantwortung.

Welche Möglichkeiten zur Systemstabilisierung gibt es?

Die größte Herausforderung sind die fluktuierenden Energieträger. Das System muss so aufgebaut werden, dass Energie genau dann verfügbar ist, wenn sie gebraucht wird. Es muss also insgesamt größer werden, denn so sinkt das Risiko, dass überall gleichzeitig kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Dafür benötigen wir aber Möglichkeiten, Strom schnell zum Beispiel zwischen Nord- und Südeuropa zu transportieren. Gefragt sind zudem leistungsfähige Speicher für große Strommengen, die aber noch nicht zur Verfügung stehen. Darüber hinaus gibt es Projekte zum Demand-Side-Management, also zur Flexibilisierung und gezielten Steuerung der Stromnachfrage, um auf schwankende Einspeisemengen zu reagieren. Wichtig sind zudem Inseln im System, die auch in Problemsituationen stabil gehalten oder nach einem Blackout schnell wieder hochgefahren werden können. Von dort aus ließen sich die jeweiligen Umgebungen mit zentralen Dienstleistungen versorgen.

Welche Rolle spielt die Elektromobilität in diesem Zusammenhang?

Die Elektromobilität ist ein wichtiger Bestandteil der Energiewende. Im Moment spielt sie noch keine Rolle, doch wenn mehr Elektroautos unterwegs sind, brauchen wir sehr viel mehr Strom als heute. Das erhöht die Anforderungen an die sichere Versorgung ganz beträchtlich.

Worin sehen Sie die größte Herausforderung für die Gesellschaft?

Wir sind in Deutschland sehr verwöhnt, weil immer ausreichend Energie zur Verfügung steht. Sich allein schon an den Gedanken zu gewöhnen, dass das vielleicht nicht so bleiben wird, dürfte eine große Umstellung sein. Nach langen Zeiten des Energieluxus ist das Umdenken eine enorme Herausforderung.