Die Brücke ist die Bühne
Trotz der Verfügbarkeit obligatorischer Navigationshilfen wie Radar, globales Navigationssatellitensystem (GNSS), automatisches Identifikationssystem (AIS), Kreiselkompass und elektronisches Seekartendarstellungs- und Informationssystem (ECDIS) auf der Brücke ist die Navigation noch immer stark von menschlichen Sinnen abhängig.
In der Regel schaut der Ausguck – vielleicht mithilfe eines Fernglases, einer 400 Jahre alten Technologie – aus den Brückenfenstern und meldet seine Beobachtungen dem wachabenden Offizier. Dieser kombiniert die Meldungen mit unabhängigen Informationen von Navigationswerkzeugen und eigenem Fachwissen zu einem „geistigen Bild“ und beurteilt das mit der jeweiligen Situation verbundene Risiko (basierend auf den Beziehungen zwischen verschiedenen Eingaben und der Zuverlässigkeit der Informationen). Das Risiko kann dann gemindert werden, indem z. B. die Schiffsgeschwindigkeit so angepasst wird, dass ein sicherer und effizienter Betrieb gewährleistet ist.
Die heutigen Systeme sind also von menschlicher Wahrnehmung, menschlichem Verständnis und menschlicher Interpretation abhängig – eine Abhängigkeit, die nicht ohne ist. So kann es z. B. sein, dass die Navigationshilfen kleine Objekte oder Objekte, die keine Radarsignale reflektieren, nicht erkennen. Und wenn der Ausguck diese Objekte nicht sieht, dann sind sie praktisch nicht existent.
Eine weitere Herausforderung ist die Unabhängigkeit der Navigationsgeräte an Bord, die voneinander unabhängige Datenpunkte liefern. Diese „isolierten“ Informationen verhindern zwar kritische Ausfallpunkte, sind aber auch mit unnötiger Duplizierung und Komplexität für die Besatzung verbunden, die diese Informationen manuell beobachten, verarbeiten und anwenden müssen.
Der menschliche Faktor
Menschliche Sinne sind für langsame, dauerhafte oder großflächige Beobachtungen weniger geeignet. In Verbindung mit subjektiven manuellen Beobachtungen, zwischenmenschlicher Kommunikation und einem diskontinuierlichen Informationsfluss besteht die Gefahr, dass ein Ereignis übersehen wird oder es unterschiedliche Auffassungen von schwierigen Situationen auf See gibt.
Die eingeschränkte Sicht von der Brücke macht z. B. zusätzliches Personal beim Anlegen und im Schleppbetrieb erforderlich. Dabei ist die Crew auf die manuelle Übermittlung (z. B. per Walkie-Talkie) von subjektiven Daten über die Größe und Entfernung von Hindernissen an die Brücke angewiesen. Schlechtes Wetter, Nebel und Dunkelheit können die Sicht und die Konzentration beeinträchtigen, und die Schiffsbewegungen können sich negativ auf die Fähigkeit der Crew auswirken, Veränderungen der Lage – z. B. ein sich näherndes anderes Schiff – zu erkennen.
Monotone Situationen wie ein ruhiger sonniger Tag auf See mit „leerem“ Radarschirm können ebenfalls eine Herausforderung darstellen. Langeweile und schwindende Konzentration können dazu führen, dass ein sich langsam entwickelndes Ereignis nicht erkannt wird, sodass es auch unter günstigen Bedingungen bei praktisch leerer See zu einem Beinahezusammenstoß kommen kann. Solche Situationen stellen die Fähigkeit der Besatzung, zu beobachten, zu kombinieren, Informationen zu verarbeiten und entsprechend zu handeln, auf die Probe.