Ohne Löffel rührt man besser: Die Rolle des EMS in der Stahlindustrie

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Intro

Seit Dr. Ludwig Dreyfus 1937 den elektromagnetischen Rührer (EMS – Electromagnetic Stirrer) für ABB erfunden hat, wurde er kontinuierlich weiterentwickelt. Heute kann er eine bedeutende Rolle bei der Produktion von grünem Stahl spielen.

Dreyfus’ Genialität bestand darin, das Faradaysche Induktionsgesetz (dass ein Strom durch ein sich änderndes Magnetfeld induziert werden kann) auf flüssiges Metall auszudehnen. Neben oder unter dem Ofen positioniert, erzeugt sein EMS ein wanderndes Magnetfeld, das das Schmelzgut bewegt, was zu gleichmäßigeren Temperaturen im geschmolzenen Metall führt und die Schlacke-Metall-Reaktionen beschleunigt.

1937 patentiert, schuf diese Erfindung eine Möglichkeit, das Schmelzgut kontaktlos zu rühren und dabei sowohl die Richtung als auch die Amplitude der Rührkraft sehr exakt zu dosieren.

In den 1930er Jahren war dieses Verfahren besonders revolutionär. Denn alternative Verfahren, wie das mechanische Rühren mit einem Rotator, führten oft zu Wartungsproblemen mit entsprechenden Ausfallzeiten. Und metallurgisches Rühren durch Einblasen von Gasen wie Stickstoff, Sauerstoff oder Argon in die Schmelzmasse, war zu dieser Zeit noch nicht gut entwickelt. Die Stelle, an der man das Gas ins flüssige Metall bläst, kann eine Schwachstelle im Ofen schaffen, und führte zu vielen Sicherheitsproblemen mit dieser Technologie.

"Dreyfus' Erfindung des elektromagnetischen Rührers, die es ihm ermöglichte, den Strom im flüssigen Metall zu berechnen und zu steuern, machte ABB absolut zum führenden Anbieter von metallurgischer Technologie in der Welt."

Hongliang Yang, R&D Teamleiter bei ABB Metallurgy

Seitdem wurden mehrere tausend EMS (auch elektromagnetische Rührer EMR) basierend auf Dreyfus’ Erfindung in Metallverarbeitungsanwendungen wie EAFs, Pfannenöfen (ebenfalls zuerst von ABB entwickelt), dem kontinuierlichen Gießen von Stahl und dem Umschmelzen von Aluminium installiert.

Kooperationen mit Kunden befeuern Innovationen

Die enge Partnerschaft mit den Kunden ist für die kontinuierliche Entwicklung von metallurgischen Prozessen von entscheidender Bedeutung. Denn Teile der Prozesse verlaufen bei sehr hohen Temperaturen – 1.500 Grad Celsius oder mehr. “Da kann man nicht alles vorhersehen, was bei dieser Temperatur passiert. Daher wird viel Technologie auf der Grundlage von Erfahrungen entwickelt”, erklärt der ABB Metallurgy Teamleiter Hongliang Yang. Die Datenbank von ABB ermöglicht zwar Simulationen mit einem hohen Grad an Genauigkeit, aber dennoch “muss jede neue Erfindung irgendwo installiert werden und sich bewähren, bevor man weitermachen kann”, so Yang.

Durch die enge Zusammenarbeit mit den Kunden bei jeder Inbetriebnahme seiner EMS-Produkte hat ABB ein beispielloses Verständnis dafür entwickelt, wie die Technologie unter verschiedenen Bedingungen und mit verschiedenen Einsatzstoffen funktioniert. Diese Datenfülle wird bei jeder neuen Installation und Entwicklung genutzt.

"Wir haben die längste Erfahrung auf diesem Gebiet weltweit und haben Ergebnisse aus verschiedenen Anwendungen unserer Technologie gesammelt. Für jeden Kunden können wir Simulationen darüber anbieten, wie es für ihn funktionieren wird. Bei fast jeder Installation schicken wir unsere Leute zum Kundenstandort, um nach der Installation nachzufassen und herauszufinden: 'Wie sind die Ergebnisse?' Das ist, denke ich, ziemlich besonders – oder sogar einzigartig – in diesem Geschäft."

Hongliang Yang, R&D Teamleiter bei ABB Metallurgy

Und so ABB hat zum Teil über Jahrzehnte hinweg eng mit großen Herstellern zusammengearbeitet. In den 1980er Jahren beispielsweise mit Kawasaki Steel, um ein elektromagnetisches Feld auf das konventionelle Brammengießen anzuwenden und so die Brammenqualität weiter zu verbessern.

Das Produkt, das aus dieser gemeinsamen Arbeit hervorging, wurde als EMBR oder ElectroMagnetic BRake bekannt, wegen der Kontrolle, die es über den durch Jet-Strömungen im Brammengießprozess verursachten Schwung ermöglichte. In den 1990er Jahren wurde in dieser Partnerschaft dann eine Strömungskontrollform für konventionelle Brammengießer entwickelt.

ABBs elektromagnetische Bremse, 1985 von ABB erfunden.

ABB entwickelte anschließend eine dritte Generation von Stranggussformen zur Strömungssteuerung (FC Mold G3), um neuen Marktanforderungen gerecht zu werden. 2016 brachte es den Optimold Monitor auf den Markt, ein Produkt, das die Temperaturmessung beim kontinuierlichen Gießen ermöglichte und einen beispiellosen Einblick in den Prozess bietet. In Kombination mit Optimold Control ermöglicht es eine Echtzeit-Prozesssteuerung in geschlossener Schleife, die die Qualität der produzierten Metalle auf ein neues Niveau hebt.

ABB Ability Optimold Monitor ermöglicht die Echtzeit-Visualisierung der Formtemperatur beim Stranggießen.

Effizienzsteigerungen auch für klimafreundliche Lichtbogenöfen

Heutzutage stehen Stahl-, Aluminium- und andere Metallhersteller unter besonderem Druck: Sie sollen die Qualität ihrer Produkte erhöhen, den während der Produktion ausgestoßenen Kohlenstoff reduzieren und dabei wettbewerbsfähige Preise bieten.

Elektrolichtbogenöfen haben dafür großes Potenzial, denn in ihnen wird traditionell Metallschrott zu neuen Stahlprodukten recycelt. Außerdem werden sie mit Strom betrieben, der potenziell aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden kann, um wirklich „grünen“ Stahl zu erhalten.

Zu den aktuellen F&E-Projekten von ABB zählt ihr Leiter des Metallurgy-Bereichs Hongliang Yang „die Entwicklung von EMS-Prozessen, die es uns ermöglichen, effizient mit diesem neuen Rohstoff für den Lichtbogenofen zu arbeiten.”

Im Jahr 2022 erreichte die langjährige Zusammenarbeit von ABB mit dem EAF-Ofenhersteller Tenova den Meilenstein der endgültigen Abnahme durch den Stahlhersteller Acciaieria Arvedi für eine rekordverdächtige Schmelzeinheit mit einer Ofenabstichgröße von 300 metrischen Tonnen.

Für Tenovas Consteel EAF war eine innovative Anpassung von ABBs ArcSave elektromagnetischer Rührtechnologie, der neuesten Generation von EAF-EMS, erforderlich, um ein kontinuierliches Schrottbeschickungssystem zu ergänzen.

Das gemeinsam entwickelte Produkt ist als Consteerrer bekannt und führte zu einer Reduzierung des elektrischen Energieverbrauchs um 3,6% bei Acciaieria Arvedi, was einer jährlichen Reduzierung der CO2-Emissionen der Anlage um 38.000 Tonnen entspricht. Gleichzeitig wird eine Produktivitätssteigerung um 5% und eine Reduzierung des End-Sauerstoffgehalts des produzierten Stahls um 17% erreicht. Weitere Vorteile sind eine erhöhte Ausbeute aus Schrottmetallen und Reduzierung von mitlaufender Schlacke.

ArcSave passt die Rührkraft an spezifische Prozessanforderungen an. Die Technologie optimiert die metallurgische Leistung für den Betrieb von Elektrolichtbogenöfen (EAF).

Die Zukunft: ABB-Team setzt auf faseroptische Sensoren

Das Team von sieben Forschern, dass heute die Arbeit von Ludwig Dreyfus im Bereich Metallurgie für ABB weiterführt, setzt auch einen klaren Schwerpunkt auf das Thema Digitalisierung. Und dabei vor allem auf die Messung mit neuartigen Sensoreinrichtungen, die Datenübertragung zu einem zentralen Punkt und die sinnvolle Abfrage dieser Daten ermöglichen. “Wie ich bereits erwähnte, sind Aspekte von metallurgischen Prozessen nicht vorhersehbar”, erinnert uns Teamleiter Yang, “daher ist die Messung sehr wichtig. Eines unserer Projekte beinhaltet z.B. die Verwendung von optischen Fasern zur Temperaturmessung”.

Eigenschaften wie kompakte Größe, flexible Struktur, hohe Empfindlichkeit und Immunität gegen elektromagnetische Störungen machen faseroptische Sensoren ideal für die metallurgische Umgebung. “Das ist ein neues Gebiet”, sagt Yang, “das es uns ermöglichen wird, Daten zu sammeln, zu analysieren und unsere Erkenntnisse entweder zur Steuerung unserer Ausrüstung zu verwenden oder neue Ideen für neue Produkte zu entwickeln.”

Yang gibt dabei gerne zu, dass er vom Reiz des Neuen fasziniert ist. Und vom Potenzial, bisher unbekannte Wechselwirkungen in den Schmelztiegeln der Metallurgie zu nutzen, um Innovationen voranzutreiben und die Nachhaltigkeit der Branche zu verbessern. Denn das ist eine anhaltende Mission voller Möglichkeiten.