Die 80er Jahre: Robotik wird erwachsen

ABB-Roboter-Präsentation in den 1980er Jahren mit Tänzerinnen.
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Intro

In Teil 2 unserer Serie „50 Jahre ABB Robotics“ richtet sich unser Blick auf die 80er Jahre. Modisch ein Jahrzehnt mit viel Potenzial zum Fremdschämen: Ob Vokuhila, überdimensionale Schulterpolster oder Dauerwelle – diese Trends haben das Jahrzehnt zum Glück nicht überlebt. Doch in anderen Bereichen waren die 80er epochenverändernd. Politisch markierten die Wahlsiege von Margaret Thatcher, Ronald Reagan und Helmut Kohl nach den sozialdemokratischen 70er Jahren den Start einer konservativen Ära, die von einer neoliberalen Wirtschaftspolitik geprägt war. Und am Ende des Jahrzehnts läutete die friedliche Revolution in der DDR das Ende der deutschen Teilung und des Ost-West-Konflikts ein. Sportlich lösten Boris Becker und Steffi Graf durch ihre Erfolge in Wimbledon einen bis dahin nicht gekannten und bis weit in die 2000er Jahre reichenden Tennisboom in Deutschland aus. Und musikalisch legte die Neue Deutsche Welle den Grundstein für populäre deutschsprachige Musik jenseits von Schlager und Volksmusik.

Doch fernab von Weltpolitik, Sport und Musik waren die 80er Jahre vor allem eines: Ein Jahrzehnt der technologischen Innovationen, die den Alltag prägten und den Grundstein für die Digitalisierung legten. So startete der PC seinen Siegeszug. Digitaluhren eroberten den Markt. CDs verdrängten Schallplatten und Kassetten. Erste Mobiltelefone in Backsteingröße kamen auf den Markt. Und Robotik sowie Automatisierung revolutionierten den industriellen Produktionsprozess.

Robotik in den 80er Jahren

Zu Beginn der 80er Jahre war Deutschland in einer Wirtschaftskrise: Die Arbeitslosenquote lag in der Spitze über 9 Prozent und das Bruttoinlandsprodukt ging von 850 Milliarden US-Dollar 1980 auf 660 Milliarden US-Dollar im Jahr 1985 zurück. Auslöser der Krise war vor allem ein zunehmender Wettbewerbsdruck durch die einsetzende Globalisierung. Die Elektronikbranche aus Deutschland war schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähig gegenüber der Konkurrenz aus Asien. Und auch in der Automobilindustrie gewannen japanische Hersteller wie Toyota und Honda in den 1980er Jahren zunehmend Marktanteile dank effizienterer Produktionsmethoden und einem starken Qualitätsmanagement. Dies setzte etablierte Hersteller aus Deutschland unter Druck, die eigenen Produktionsprozesse ebenfalls zu verbessern und kosteneffizienter zu gestalten. Die Lösung: Effizienz- und Qualitätssteigerung durch Robotik und Automatisierung, um so die Produktionskosten in den Griff zu bekommen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Und hierbei spielte ABB eine nicht unwesentliche Rolle.

Evolution der Robotermechanik

Wir erinnern uns: 1974 brachte die Vorgängerfirma von ABB – ASEA – mit dem IRB 6 den ersten mikroprozessorgesteuerten, elektrisch angetriebenen Roboter der Welt auf den Markt. Die Bauweise des IRB 6 war derart elegant, dass sich seine menschenähnliche Kinematik mit Drehgelenken noch heute in ABB-Robotern wiederfindet. Auch in den 80er Jahren brachte ASEA wegweisende Industrieroboter auf den Markt.

Punktschweißen per Roboter: Der IRB 90

Als bedeutender Anwendungsbereich für Industrieroboter kristallisierte sich das Punktschweißen heraus. Der 1982 eingeführte IRB 90 wurde eigens für diese Aufgabe entwickelt. Der IRB 90 war ein Sechsachs-Roboter mit in den Arm integrierten Versorgungsleitungen für Wasser, Luft und Strom. Mit einer Traglast von 90 kg etablierte er sich rasch auf dem Markt für Punktschweißanwendungen.

Ein IRB 90 Roboter von ASEA (ABB) aus den 1980er Jahren beim Punktschweißen.

Der IRB 90 bei dem, was er am besten kann: Punktschweißen.

Neue Anwendungen: Der Lackierroboter TR 5000

Es dauerte nicht lange, bis Roboter auch zum Lackieren eingesetzt wurden. Durch eine Firmenübernahme kaufte sich ASEA Kompetenzen in diesem wachsenden Markt ein und entwickelte die Roboter weiter. Das Ergebnis: 1988 brachte ASEA ihren ersten Lackierroboter mit elektrischem Antrieb auf den Markt, den TR 5000. Ursprünglich waren für Lackierroboter ausschließlich eigensichere Hydraulikantriebe verwendet worden. Der TR 5000 erfüllte diese Sicherheitsanforderungen jedoch auch mit elektrischen Antrieben und brachte zusätzlich deren inhärente Vorteile wie eine hohe Geschwindigkeit, hohe Genauigkeit und eine elektronische Steuerung mit. Die Markteinführung des TR 5000 war auch die Geburtsstunde der bis heute währenden Erfolgsgeschichte von ABB im Bereich Lackierroboter. Kleiner Spoiler: In den 1990er Jahren führte ABB ihr innovatives Cartridge Bell System (CBS) zur Lackierung von Fahrzeugteilen ein, das heute in der Automobilherstellung auf der ganzen Welt eingesetzt wird. Dieses System nutzt einfach wechselbare Lackkartuschen, um die Verschwendung von Lack und Lösungsmitteln zu verringern und damit sowohl die Kosten als auch die Emissionen zu reduzieren, während gleichzeitig mehr Farben verwendet werden können.

Der IRB 2000 – verbesserte Raumkinematik und AC statt DC

Eine signifikante Weiterentwicklung in der Robotermechanik stellte der 1986 von ASEA eingeführte IRB 2000 dar. Dieser Roboter der zweiten Generation, der eine Tragkraft von 10 kg aufwies, brachte wesentliche Neuerungen mit sich: An den “Hüft“- und “Schulterachsen” wurden die Kugelgewindetriebe durch rückschlagfreie Getriebe ersetzt, was die Raumkinematik verbesserte. Ein weiterer entscheidender Fortschritt war der Übergang von Gleichstrommotoren (DC) zu Wechselstrommotoren (AC) im Antriebssystem. Die AC-Motoren bieten ein höheres Drehmoment, sind kompakter, erfordern weniger Wartung, da sie bürstenlos sind, und haben eine längere Lebensdauer – Eigenschaften, die in der Industrie, insbesondere im Automobilbau, äußerst geschätzt werden.

Der Industrieroboter IRB 2000, der Mitte der 1980er Jahre von ABB (ASEA) eingeführt wurde.

IRB 2000

Hochgeschwindigkeitsroboter – Montage

Die klassischen Industrieroboter ähneln einem menschlichen Arm. Doch gibt es Anwendungen wie die Hochgeschwindigkeitsmontage kleiner Teile, in denen sich andere Konfigurationen als vorteilhafter erwiesen haben. Eines der erfolgreichsten Designs war der SCARA (Selective Compliant Assembly Robot Arm), der vom japanischen Professor Hiroshi Makino an der Universität von Yamanashi entwickelt wurde. ASEA brachte 1987 mit dem IRB 300 einen eigenen SCARA auf den Markt. Im Jahr 1984 entwickelte ASEA den als weltweit schnellsten Montageroboter bekannten IRB 1000, bei dem der Arm in einer sogenannten Pendelkonfiguration an einem Gelenk hing.

Ein IRB 300 Roboter, der von ABB (ASEA) in den 1980er Jahren produziert wurde.

IRB 300

Die bewegten Massen des Arms waren am Gelenk konzentriert, um das Trägheitsmoment zu minimieren. Dies ermöglichte Beschleunigungen von 2 G in einem wesentlich größeren Arbeitsbereich als mit einem SCARA. Doch für Fließband-Handhabungsaufgaben in Bereichen wie der Elektronik- und Nahrungsmittelindustrie waren selbst diese Roboter noch zu langsam. Aus diesem Grund führte ABB im Jahr 1998 den IRB 340 FlexPicker ein, der eine Beschleunigung von 10 G sowie 150 Handhabungsvorgänge pro Minute erreichte.

Fortschritte in der Steuerung: Revolution statt Evolution

Die Roboterkinematik hat sich Schritt für Schritt in einer Art evolutionärem Prozess weiterentwickelt. Bei den Steuerungen, Bedienerschnittstellen bzw. Mensch-Maschine-Schnittstellen (MMS) und den Softwaresystemen waren die Innovationen disruptiver. So verfügte die Steuerung für den 1974 entwickelten IRB 6, die später S1 genannt wurde und ihrer Zeit weit voraus war, nur über einen einzigen Intel 8008-Mikroprozessor mit 8 Bit, eine MMS mit vierstelliger LED-Anzeige und 12 Drucktasten sowie eine rudimentäre Softwareunterstützung für die Achseninterpolation und Bewegungssteuerung. Die Programmierung und Bedienung des Roboters erforderten speziell ausgebildete Fachleute.

Der erste Durchbruch bei der Einrichtung und Programmierung erfolgte 1981 mit der S2. Die auf zwei Motorola 68000-Mikroprozessoren basierende MMS (auch Teach Pendant genannt) verfügte über einen Joystick zur direkten intuitiven Steuerung (Jogging) und Positionierung der Roboterachsen. Ebenfalls neu waren das Konzept des Werkzeugmittelpunkts (Tool Center Point, TCP) und die Programmiersprache ARLA (ASEA Robot Programming Language), die sowohl erfahrenen als auch ungeübten Benutzern eine einfachere und schnellere Programmierung und Einrichtung ermöglichten. Zusätzlich standen für die S2 neue Softwarefunktionen für bestimmte Prozesse wie das Lichtbogenschweißen und integrierte Schweißzeitgeber für das Punktschweißen sowie ein Kinematikmodell des Roboterarms zur Verfügung. Letzteres ermöglichte in Kombination mit dem IRB 6000 eine Performance, die nicht mehr von der mechanischen Stabilität der physischen Struktur begrenzt wurde. Dies war der erste Schritt in Richtung einer vollständigen Dynamik- und Kinematikmodellierung, die in heutigen ABB-Produkten zur Verfügung steht. Die 1986 eingeführte Steuerung S3 unterschied sich von der S2 vor allem durch den Wechsel zu AC-Antrieben, wie er beispielsweise in der Serie IRB 2000 realisiert wurde.

Es ist ein Mädchen: Die Geburtsstunde der ABB

Die technologischen Entwicklungen und Innovationen der 80er Jahre waren sicherlich beeindruckend. Doch das prägendste Ereignis war die Fusion der schwedischen ASEA und der schweizerischen Brown, Boveri & Cie (BBC) im Jahr 1988. Beide Unternehmen hatten ausgemachte Stärken und geografische Schwerpunkte. ASEA war besonders in Skandinavien stark vertreten und verfügte über fortschrittliche Technologien in den Bereichen Hochspannungstechnik und Automatisierung, während BBC in der Schweiz ansässig und in ähnlichen Bereichen tätig, aber in anderen Teilen Europas etabliert war.

Die Entscheidung zur Fusion wurde vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbsdrucks und der Notwendigkeit, in Forschung und Entwicklung sowie in globalen Märkten zu investieren, getroffen. Die Fusion ermöglichte es den beiden Unternehmen, Ressourcen zu bündeln, die Forschungs- und Entwicklungskapazitäten zu stärken und eine führende Position in der wachsenden globalisierten Marktlandschaft für Energie- und Automatisierungstechnik zu sichern. Der Zusammenschluss wurde als eine “Fusion unter Gleichen” betrachtet, die darauf abzielte, eine ausgewogene Struktur zwischen den schwedischen und schweizerischen Anteilen und Einflüssen zu schaffen.

Das neu entstandene Unternehmen, die ABB, wurde schnell zu einem der größten Anbieter von Elektrotechnik und Automatisierungslösungen weltweit. ABB nutzte schnell die erweiterten Kapazitäten, um in neuen und bestehenden Märkten zu expandieren, und entwickelte eine breite Palette von Produkten und Dienstleistungen, von Robotik bis zur Industrieautomation. Die Fusion im Jahre 1988 hat ABB geholfen, die Position als globaler Marktführer zu festigen und weiterhin Innovationen in verschiedenen Technologiebereichen voranzutreiben.

50 Jahre ABB Robotics: Die 70er Jahre & die Entwicklung des ersten modernen Industrieroboters

Björn Weichbrodt, der Entwickler des IRB 6, des ersten elektrischen Industrieroboters der Welt für ASEA/ABB.

Die Geschichte von ABB Robotics beginnt mit einem Paukenschlag: Björn Weichbrodt entwickelt den ersten elektrischen Industrieroboter der Welt – mit computerbasierter, digitaler Steuerung. Und der ist er seinen hydraulischen Vorgängern technisch so weit voraus, dass er sie bald völlig verdrängt – und in der Robotik eine neue Zeitrechnung einläutet.

Lies hier alles über das spannende erste Jahrzehnt von ABB Robotics.