Eine Frage der Einstellung

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Verbesserungspotenzial für Strukturen, Stellglieder und Sensorik identifizieren – das war das Ziel einer umfangreichen Regelkreis-Performance-Analyse, die ABB bei der Wacker Chemie AG im oberbayerischen Burghausen durchgeführt hat. Von den gewonnenen Erkenntnissen verspricht sich das Unternehmen Optimierungen im Hinblick auf Qualität, Durchsatz und Kosten.

Die Wacker Chemie AG betreibt in Burghausen eine Keten-Spalt-anlage, in der flüssige Essigsäure verdampft und gasförmig in Spaltöfen eingespeist wird. Unter Einsatz bestimmter Katalysatoren findet eine Aufspaltung in Keten und Wasser statt. Keten dient als Grundstoff für die Herstellung von Isopropenylacetat und Acetylaceton. Obwohl die Anlage seit Jahren problemlos arbeitet, entschloss sich die Betriebsleitung dazu, ihre Wirtschaftlichkeit überprüfen zu lassen. „Unser Anliegen resultierte aus dem Wunsch nach höherer Effektivität, ohne Investitionen in neue Betriebsmittel tätigen zu müssen“, erklärt Siegfried Pflaum, Betriebsleiter der Keten-Anlage.

ServicePort generiert Kennzahlen

Der ABB-Bereich Service Control erhielt den Auftrag, die gesamte Automatisierungslösung und die Regelkreise in der Keten-Anlage umfassend zu analysieren. Im November 2013 wurde dafür ein ServicePort-Server installiert. Diese Plattform stellt lokal oder remote ausgeführte Dienstleistungen bereit und bietet Zugang zu den aktuellsten System- und Prozessanalysefunktionen von ABB. Der Server überwacht die Signale kontinuierlich und generiert wertvolle Leistungskennzahlen, aus denen sich mögliche Störungen frühzeitig ableiten lassen. Die intuitive Benutzeroberfläche ServicePortExplorer bereitet die Parameter grafisch auf, sodass der Anwender gezielt Gegenmaßnahmen ergreifen kann.

Die Keten-Anlage basiert auf dem ABB-Prozessleitsystem Freelance mit DigiVis als Bedien- und Beobachtungsebene. Die erforderlichen Automatisierungsaufgaben übernehmen fünf redundante Controller vom Typ AC 800F beziehungsweise rackbasierte Prozessstationen. Der ServicePort-Server wurde über eine OPC-DA-Schnittstelle an das Prozessleitsystem angebunden. 109 aktive Regelkreise fanden in der Analyse Berücksichtigung, insgesamt verfügt der analysierte Anlagenteil über 139 Regelkreise. Eine Signalabtastrate von zwei Sekunden sorgte für eine ausreichende Datenbasis, um die regelungstechnische Leistungsfähigkeit der Anlage zu beurteilen.

 

Das Maximum herausholen

„Es ist leicht nachvollziehbar, dass bei einer so großen Zahl unterschiedlicher Regelkreise eine gegenseitige Beeinflussung der Regelungen nicht auszuschließen ist“, erklärt Bernd Schuhmann vom Vertrieb Service Control bei ABB. Zudem können suboptimale Reglerparameter zu Prozessschwankungen führen – mit negativen Auswirkungen auf Durchsatz und Ausbeute. Eine Regelkreisoptimierung beseitigt Schwachstellen und Engpässe, was zu einer längeren Lebensdauer der Komponenten führt. „Durch geringere Änderungen im Prozess kann der Betreiber näher an die Spezifikationsgrenzen seiner Anlage gehen und damit bei gleichbleibender Produktqualität einen höheren Ausstoß und einen energieeffizienteren Betrieb erreichen“, sagt Bernd Schuhmann.

Auf der Basis einer ersten Performance-Analyse haben die ABB-Experten mögliche Maßnahmen vorgestellt. Vor deren Umsetzung sind Aufwand und erreichbares Verbesserungspotenzial gegeneinander abzuwägen. Zudem ist es sinnvoll, weitere Kennzahlen der Anlage in die Datenbank des ServicePort-Servers aufzunehmen, um die Energieeffizienz zu bestimmen und die Qualität zu überprüfen.

Zu den leicht umsetzbaren Maßnahmen gehören das Befragen der Anlagenfahrer zu den auffälligen Regelungen oder die Inspektion einzelner Stellglieder. Insbesondere bei gewachsenen Anlagen wie der von Wacker ist es wichtig, Altlasten der Steuerung zu identifizieren und zu beseitigen, etwa obsolete Programmbausteine oder nicht mehr gültige Signale, die versehentlich weiterverwendet werden. Sie belasten nicht nur das Leitsystem unnötig, sondern können auch unerwünschte Effekte in der Regelung verursachen. Darüber hinaus zeigt ABB Wege auf, wie sich die Automatisierung mit dem Prozessleitsystem Freelance verbessern lässt – vom Verbinden fehlender Belegungen über die Priorisierung einzelner Verarbeitungsschritte (Tasking) bis hin zur Konfiguration diverser Regelkreisstrukturen. Mit einem zweiten Analysebericht Ende 2014 wurde die Datenerfassung in der Keten-Anlage zunächst abgeschlossen. Wenn das Abschlussdokument vorliegt, werden weitere Verbesserungsmaßnahmen diskutiert.

 

Performance wie am ersten Tag

Das Beispiel der Wacker Chemie AG zeigt, dass sich Effektivität und Wirtschaftlichkeit von älteren Prozessanlagen mit einer systematischen Regelkreisanalyse steigern lassen. Denn häufig erfolgt die Einstellung der Regelkreise in der Planungs- und Engineeringphase; im laufenden Betrieb wird ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr hinterfragt. Selbst Änderungen in der Produktion führen nicht automatisch zu einer Anpassung der Regelung; Alterungs- und Verschleißeffekte bleiben unerkannt. Die ServicePort-Lösung weist die Bediener gezielt auf problematische Regelungen hin. Indem sie alle Leistungsparameter automatisiert und kontinuierlich überwacht, hält sie die Anlagenperformance auf hohem Niveau.

„Der Betreiber kann näher an die Spezifikationsgrenzen seiner Anlage gehen und einen höheren Ausstoß erreichen.“