Kapazitäten besser nutzen

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Fortschrittliche Lösungen zur Systemoptimierung sind nicht nur in der Industrie, sondern auch beim Management von Stromnetzen gefragt. ABB beteiligt sich an einem Pilotprojekt, dem „E.ON Smart Grid Control Center“ in Schweden, das entsprechende Technologien erforscht und weiterentwickelt.

Die Energiewende stellt die Betreiber von Verteilnetzen vor einen Paradigmenwechsel: Konnten sie die Lastverteilung bisher relativ konkret und langfristig vorhersagen, gleichen Lastflüsse im Verteilnetz derzeit einer Art Blackbox. Insbesondere durch die hohe Zahl kleiner Erzeuger von erneuerbaren Energien, die in das Verteilnetz integriert werden müssen, kommt es zu stark schwankenden Lastflüssen. Betreiber können viele Schritte nicht mehr lange im Voraus planen, sondern müssen täglich agieren.

Noch fehlt es jedoch an Praxiserfahrungen mit neuen Konzepten, Prozessen und Technologien. ABB erforscht zusammen mit E.ON im „E.ON Smart Grid Control Center“ in Schweden neue Verfahren, die das Einspeisemanagement optimieren, den steigenden Energiebedarf (Demand) berücksichtigen und die Netzbetreiberkosten senken. ABB kann hier seine jahrzehntelange Erfahrung in der Energietechnik und bei IT-Lösungen für Energieunternehmen nutzen. „Je mehr Daten beispielsweise über die Betriebsmittel zur Verfügung stehen, desto exakter werden die Prognosen – ähnlich der Mustererkennung bei Google“, erklärt Barbara Dörsam, Industry Solutions Executive in der Division Energietechnik-Systeme von Ventyx/ABB.

 

IT-Technologien neu integriert

ABB hat bereits ein Network Manager SCADA-System (Supervisory, Control and Data Acquisition) bei E.ON installiert. Es dient als Grundlage dafür, verschiedene IT-Lösungen zu testen. Die Kombination von informationstechnischen und operativen Technologien in der E.ON-Netzleitwarte eröffnet die Möglichkeit, verschiedene Maßnahmen unter den Aspekten Wirtschaftlichkeit und Effizienz automatisch zu prüfen, um Netzstabilität und Versorgung zu sichern. Aufbauend auf dem bereits installierten SCADA-System haben die beiden Unternehmen vier verschiedene Szenarien entwickelt. Die Feldtestphase mit Industriekunden von E.ON startete im Mai 2014.

Szenario 1:

Korrektive Schaltmaßnahmen

Hier geht es darum, die optimale Konfiguration für Umspannwerke vorherzusagen. War es früher ausreichend, Transformatoren von Umspannwerken zwei Mal pro Jahr zu schalten, können heute aufgrund der volatilen Energieeinspeisung zig-fache Schaltvorgänge im selben Zeitraum erforderlich sein, um zu große Spannungsschwankungen und Energieverluste zu vermeiden. Allerdings müssen dabei stets Kosten und Nutzen abgewogen werden, da jeder Schaltvorgang den Transformator und den Leistungsschalter abnutzt.

Szenario 2:

Blindleistungs- und Spannungsoptimierung

Bei Szenario 2 liegt der Blickpunkt auf der optimalen Lastverteilung für Teilnetze. Es wird getestet, wie sich durch genaue Lastprognosen Blindleistung und Spannung im 130kV/70kV-Netz besser verteilen lassen, um Energieverluste zu minimieren. Im „E.ON Smart Grid Control Center“ wird die Spannung kontinuierlich in Echtzeit gemessen, aber auch für die unmittelbare Zukunft berechnet. Neu ist, dass die Spannungsschwankungen nicht nur genau überwacht werden, sondern dass auch aktiv in den Betrieb der Kompensationseinrichtungen eingegriffen wird. Das Netzwerk wird enger an seinem Limit geführt, bleibt aber trotzdem sicher und zuverlässig.

Szenario 3:

Demand Response

Bei Demand Response betrachten die Netzbetreiber gezielt Lastspitzen. Dabei haben sie insbesondere Industriebetriebe im Blick. Diese können durch eine kurzfristige Abschaltung, Drosselung oder Aktivierung ihres Strombezugs die Verteilnetze in Spitzen- oder Schwachlastzeiten entlasten. Den Bezug können die Netzbetreiber etwa über die Preise steuern. E.ON schließt mit seinen Industriekunden jährlich Verträge, die eine Höchst- und eine Niedrigst-Grenze für die Lastflüsse festlegen. Zudem hat E.ON mit seinem vorgelagerten Netzbetreiber am Netzkopplungspunkt ein Lastlimit vereinbart. Durch die Einbeziehung von Industriekunden in das Lastmanagement können Verteilnetzbetreiber ihre Lastlimits absenken und Netzkosten sparen. Ein Teil der Einsparungen wird durch die Demand-Response-Programme an Industriekunden weitergegeben.

Szenario 4:

Engpassmanagement

Ziel ist es, möglichst exakt Engpässe bei den erneuerbaren Energien, insbesondere bei Windkraftanlagen, vorherzusagen. Netzengpässe führen zu Leitungsüberlastungen, weil die Leitungen nicht ausreichen, um den Strom abzuführen. Falls ein solcher Grenzwert erreicht wird, müssen die Windkraftwerke zwangsweise abgeschaltet werden. Das lässt sich durch Engpassmanagement verhindern: Um die Kapazität der Leitungen besser zu nutzen, wird sowohl die Betriebstemperatur der Stromleitungen gemessen als auch das Wetter, zum Beispiel die Temperatur sowie die Windgeschwindigkeit und -richtung, beobachtet. Kühlen beispielsweise die Leitungen aufgrund der Witterung ab, kann sich deren Kapazität um bis zu 50 Prozent erhöhen.

Netzbetrieb wirtschaftlich und sicher

Bei allen Maßnahmen geht es darum, die Netze zu stabilisieren, die Energieverluste zu minimieren und einen teuren Netzausbau zu vermeiden. Ebenso sollen die IT-Technologien die Mitarbeiter in den Leitwarten unterstützen, die immer häufiger unter Zeitdruck entscheiden müssen. Zudem lastet auf den Betreibern ein enormer Kostendruck. „Netzbetreiber sollten frühzeitig aktiv werden. Die beschriebenen Szenarien sind einander ergänzende Maßnahmen, mit denen sich die Netze wirtschaftlich und sicher betreiben lassen“, sagt Barbara Dörsam.