Stromrichter für die steile Stadtbahn
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Stuttgarts Nahverkehr boomt. Zur Erweiterung ihrer Kapazitäten nimmt die Stadtbahn derzeit eine neue Fahrzeuggeneration von Stadler in Betrieb – mit luftgekühlten Kompaktstromrichtern von ABB.
U-Bahn? Straßenbahn? Oder eine Kombination der beiden öffentlichen Verkehrsmittel? Stuttgart setzt auf einen Mittelweg: die Stadtbahn. Dafür wurden die bestehenden Schmalspurgleise der Straßenbahn über die Jahrzehnte bis 2007 durch Normalspur ersetzt, im Innenstadtbereich unterirdisch geführt und ansonsten weitgehend auf eigene Trassen unabhängig vom Straßenverkehr verlegt. Die eingesetzten Zwei-Richtungs-Wagen kommen ohne Wendeschleife aus und haben entsprechend Türen auf beiden Seiten. Die Haltestellen sind Hochbahnsteige. Sie erlauben einen ebenerdigen Einstieg, obwohl die Bodenhöhe des Passagierraums einen Meter über Schienenniveau liegt.
Das Zentrum Stuttgarts nimmt einen Talkessel des Neckars ein. Das Siedlungsgebiet der Landeshauptstadt Baden-Württembergs expandierte mit der Zeit über die sie eingrenzenden Hügel hinweg. So überwinden manche Abschnitte der Stadtbahn lange Steilstufen. „Ich vergleiche unser Streckennetz bisweilen mit der Berninabahn“, erklärt Thomas Moser, Leiter Unternehmensbereich Schienenfahrzeuge bei der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), mit einem Schmunzeln.
Tatsächlich sind die 85 Promille Maximalsteigung der SSB-Linie U 15 ein rekordverdächtig hoher Wert für eine Adhäsionsbahn. Zum Vergleich: Die Berninabahn weist im steilsten Abschnitt eine Steigung von 70 Promille auf. Eine Züricher Tram muss maximal 77 Promille bewältigen können, die Uetlibergbahn 79 Promille. „Die lang gezogenen Steigungen in Stuttgart sollten auch voll besetzt mit 60 km/h bewältigt werden“, fügt Moser bei. Entsprechend leistungsfähig müssen die Stadtbahnwagen sein.
2009 starteten die SSB eine Ausschreibung für 20 neue Schienenfahrzeuge. Den Zuschlag erhielt Stadler Pankow – ein Tochterunternehmen des Thurgauer Unternehmens Stadler – mit einem umfassend an die Stuttgarter Anforderungen adaptierten Modell aus der Tango-Familie. Wie bei den SSB-Vorgängergenerationen anderer Hersteller handelt es sich um einen Fahrzeugtyp mit acht einzeln angesteuerten Antriebsachsen, Typenbezeichnung S-DT 8.12 (Doppeltriebwagen Typ Stuttgart mit acht Achsen, nunmehr die 12. Serie). Der S-DT 8.12 zeigt sich noch etwas stärker motorisiert als seine Vorgängermodelle. Jede der acht Achsen des Doppeltriebwagens ist mit einem 130-kW-Motor ausgerüstet. Die Gesamtleistung übersteigt also ein MW. Diese Motoren werden über Traktionsumrichter mit elektrischer Energie versorgt, welche 750-V-Gleichspannung aus dem Fahrdraht aufnehmen und in Drehstrom mit variabler Frequenz zum Antrieb umwandeln. In ihrem Anforderungskatalog hatte die SSB eine Luftkühlung der einzusetzenden Umrichter festgelegt.
„Unser Kompaktumrichter Bordline CC400 steht in vielen Stadt- und Straßenbahnen im Einsatz, etwa in Basel, Genf, Bochum oder München“, erklärt Bernhard Eng, Projektmanager Traktionsumrichter bei ABB in Turgi, wo diese Umrichter produziert werden. „Aber bislang boten wir ihn nur mit Wasserkühlung an.“ Die Anfrage von Stadler mit dem Anforderungsprofil des Endkunden gab den Ausschlag, die die schon länger geplante Entwicklung eines luftgekühlten Kompaktstromrichters zügig anzugehen. Stefan Wicki und sein Team machten sich in Turgi an die Arbeit. Sie entwickelten ein System mit einem bedarfsgesteuerten, drehzahlgeregelten Lüfter, der den durchströmungsoptimierten Umrichter nur so stark wie nötig kühlt. Eine effiziente, leise Lösung.
„Unabhängig von der Kühlung standen wir der Idee, einen Kompaktumrichter einzubauen, zuerst etwas skeptisch gegen- über“, erinnert sich Sebastian Lucke, Projektleiter für den S-DT 8.12 bei den SSB. „In unseren bestehenden Modellen sind Traktionsumrichter sowie Bordnetzumrichter und Batterielader als eigenständige Systeme konzipiert. In der Instandhaltung haben wir damit gute Erfahrungen gemacht. Man verabschiedet sich ungern von einer bewährten Konfiguration.“ Ein Detail am Rande: Die SSB ließen in den vergangenen Jahren all ihre 114 der im Betrieb stehenden Stadtbahnwagen der ersten Generation mit modernen ABBBordnetzumrichtern vom Typ Bordline M45 umrüsten.
Im Bordline CC400 sind zwei Wechselrichter für je einen Fahrmotor, ein Umrichter für das Bordnetz mit 400-V-Wechselspannung sowie ein Batterielader mit 24-V-Gleichspannung in einem Gehäuse modular vereinigt. „Besonders wertvoll und vertrauensbildend war für uns in der Folge die enge Zusammenarbeit mit dem ABB-Team um Stefan Wicki in Turgi“, betont Lucke. „Uns als Endkunde liegt die möglichst einfache Instandhaltung am Herzen. Im offenen, direkten Austausch wurden unsere Erfahrungen zur Wartungsfreundlichkeit im Design mit einbezogen.“
Bei den Tests überzeugte der S-DT 8.12 und mit den vier Bordline CC400 pro Fahrzeug. Die Luftkühlung der unterflurig eingebauten Umrichter bewährt sich. Die Verschmutzung hält sich dank der ausgeklügelten Lüftung in engen Grenzen; die Verfügbarkeit ist hoch. So konnte der erste neue Stadtbahnwagen im September 2013 den regulären Fahrgasteinsatz aufnehmen. Anfang Februar 2014 wurde der elfte S-DT 8.12 in Betrieb genommen; die weiteren neun folgen bis Sommer 2014.
Die SSB haben inzwischen 20 weitere S-DT 8.12 in der gleichen Konfiguration für rund 80 Millionen Euro bei Stadler Pankow bestellt. „Das zeigt unsere Zufriedenheit mit diesem Modell, das die hohen Anforderungen des SSB-Netzes erfüllt“, ergänzt Thomas Moser. Die neuen Bahnen sollen von Sommer 2016 an die Kapazitäten der Stuttgarter Stadtbahn zusätzlich erweitern.
Die Stuttgarter Straßenbahnen AG ist eine der größten Nahverkehrsbetriebe Deutschlands. An jedem Werktag nutzen fast 600.000 Menschen eine oder mehrere der 70 SSB-Linien, die mit rund 500 Bussen und Bahnen betrieben werden. Die ehemalige Straßenbahn ist heute als Stadtbahn mit weitgehend eigenständiger, teils unterirdischer Streckenführung konzipiert.
Weitere Infos: www.ssb-ag.de