Technik zum Anbeißen

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Lebensmittel müssen gut schmecken und dazu preiswert, sicher, vielfältig und auf der ganzen Welt verfügbar sein. Diese Herausforderung meistert die Nahrungs- und Genussmittelindustrie, an deren Leistungsfähigkeit spezifische Technologien von ABB einen wesentlichen Anteil haben.

Die Weltbevölkerung ist in den vergangenen 25 Jahren um ungefähr zwei Mrd. Menschen gewachsen. Bis Mitte 2016 werden 7,4 Mrd. Menschen auf der Erde leben. Trotz dieses gewaltigen Bevölkerungswachstums hat sich die Ernährungssituation in derselben Zeit in vielen Regionen der Welt verbessert. Litten im Jahr 1990 laut Vereinten Nationen (UN) noch über eine Mrd. Menschen Hunger, so sind es laut dem aktuellen UN-Bericht zur Ernährungssicherheit derzeit weltweit 795 Mio. Menschen. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen hat bis zum Jahr 2030 das Ziel „Zero Hunger – eine Welt ohne Hunger“ ausgegeben. In der industriellen Lebensmittelproduktion liegt auch einer der Schlüssel, dieses Ziel zu erreichen und die weiter rasch wachsende Weltbevölkerung ausreichend zu ernähren. Für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist die Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigen und sicheren Lebensmitteln eine der großen Herausforderungen.

Ziel ist die optimale Nutzung der landwirtschaftlich erzeugten Rohstoffe. Die Nahrungs- und Genussmittelindustrie muss dabei den Bedürfnissen und Ansprüchen der Konsumenten an Lebensmittel in qualitativer und quantitativer Hinsicht entsprechen. Dies gelingt durch den Einsatz bester Rohstoffe und einer modernen Produktionstechnologie. „Die technische Herausforderung besteht darin, eine Produktion von sicheren und sensorisch ansprechenden Lebensmitteln zu erreichen, die sich durch lange Haltbarkeit bei gleichzeitig schonender Behandlung der wertgebenden Inhaltsstoffe auszeichnen“, sagt Prof. Jörg Hinrichs von der Universität Hohenheim (siehe Interview).

Großes Marktpotenzial

Über 170.000 verschiedene Produkte umfasst das Lebensmittelangebot in Deutschland und der Schweiz. Hinter der Vielfalt an hochwertigen Lebensmitteln stehen Produktionsmethoden, die es in Sachen Raffinesse jederzeit mit einer Gourmet-Küche aufnehmen können. Die Lebensmittelproduktion sorgt durch den koordinierten Einsatz leistungsfähiger Automatisierungstechniken für gleichbleibend hohe und sichere Qualität, Innovationen sowie attraktive Preise und ständige Verfügbarkeit. Die Nahrungs- und Genussmittelindustrie setzt in Deutschland ungefähr 170 Mrd. Euro pro Jahr um. Weltweit wächst sie um 5 % im Jahr und hat großes Potenzial. Nach der Automobilindustrie handelt es sich um den zweitgrößten Markt für die Industrieautomation. In Zahlen: Bei der Automatisierung geht es weltweit um ein Investitionsvolumen von jährlich 19 Mrd. US-Dollar.

Trotz Bevölkerungswachstums hat sich die Ernährungssituation in vielen Regionen der Welt verbessert.

Essen mit Genuss

Die Lebensmittelproduktion hat sich in den vergangenen 60 Jahren stark verändert – ebenso wie die Ernährungsgewohnheiten. Lebensmittel dienen uns zwar immer noch in erster Linie als Energiequelle, aber auch als Genussmittel. Sie müssen gut schmecken und dazu preiswert, sicher, qualitativ hochwertig, vielfältig und jederzeit verfügbar sein. Mit der wachsenden Bevölkerung und fortschreitender Verstädterung wurde ein Industrialisierungsprozess von der Handarbeit zur Rationalisierung notwendig – wie in nahezu allen Produktionsbereichen auch bei der Herstellung von Lebensmitteln. Die Verarbeitung macht Lebensmittel haltbar, nahrhafter oder überhaupt erst genießbar. Sie umfasst also alle Maßnahmen, die einen natürlichen Rohstoff zu einem sicheren, essbaren und schmackhaften Produkt machen. Viele Verfahren, die zu Hause oder in der handwerklichen Verarbeitung genutzt werden, finden sich in standardisierter, beschleunigter Form ebenso in der Industrie wieder.

Das Welternährungsprogramm der UN hat das Ziel „Zero Hunger“. In der industriellen Lebensmittelproduktion liegt einer der Schlüssel, dieses Ziel zu erreichen.
Das Welternährungsprogramm der UN hat das Ziel „Zero Hunger“. In der industriellen Lebensmittelproduktion liegt einer der Schlüssel, dieses Ziel zu erreichen.

Sicherheit, Hygiene, Verfolgbarkeit

Grundsätzlich unterscheiden sich die Technologien in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie in primäre (primary) und sekundäre (secondary) Anwendungen. Bei primären Techniklösungen besteht ein direkter Kontakt zum Lebensmittel, das beispielsweise gemessen, gerührt oder geschnitten wird. Bei sekundären Anwendungen findet keine direkte Berührung des Lebensmittels statt, das abgefüllt, verpackt, aufgepickt oder gestapelt wird. Für beide Segmente gilt die Anforderung, dass uneingeschränkte Sicherheit, Hygiene und (Rück-)Verfolgbarkeit jederzeit gewährleistet sein müssen. Zudem gilt es, kontinuierliche, verlässliche Abläufe auch unter extremen Temperaturen und in chemisch aggressiver Umgebung zu steuern.

Kühlschrank an Supermarkt

Einen weiteren technischen Aspekt erhält die Nahrungs- und Genussmittelindustrie durch die immer stärkere digitale Verknüpfung zum Internet der Dinge, Dienste und Menschen, das auch mit dem Begriff Industrie 4.0 verbunden ist. Es rücken Anwendungen ins Blickfeld, innerhalb derer Komponenten im Internet der Dinge autark miteinander kommunizieren und zusätzlichen Komfort schaffen. Ein bekanntes Beispiel ist der Kühlschrank, der jederzeit seinen Bestand kennt und seinem Besitzer etwaige fehlende Dinge auf dem Smartphone signalisiert. Alternativ ordert das intelligente Frostgerät sogar selbstständig im Supermarkt der Wahl, von wo prompt die Lieferung frei Haus – oder besser: frei Kühlschrank – erfolgt. Ähnlich funktionieren Kochabonnements. Sie wenden sich an Verbraucher, die zwar gerne zu Hause kochen, aber keine Idee oder keine Zeit für den Einkauf haben. Sie buchen ein Kochabonnement und bekommen exakt bemessene Zutaten samt Rezept nach Hause geliefert.

Die Verarbeitung macht Lebensmittel haltbar, nahrhafter oder überhaupt erst genießbar.

Lebensmittel aus dem Hochhaus

Ein wichtiger Trend bei der Erzeugung von Lebensmitteln ist das Urban Farming, also die Landwirtschaft in der Stadt. Es folgt dem Prinzip, dass Städte sich selbst ernähren sollen, statt Lebensmittel über lange Wege zu transportieren. Angepflanzt wird in Schrebergärten, Gemeinschaftsgärten oder – beim Vertical Farming – in Hochhäusern. „Urban und Vertical Farming, aber auch die Renaissance des Gärtnerns werden in zunehmendem Umfang unser Zukunftsessen bestimmen“, schreibt der Kommunikationswissenschaftler Christian Schindler in seinem Blog „Die Zukunft des Essens“. Statt auf die Sonne vertrauen die modernen Vertikallandwirte auf LED-Leuchten, die vergleichsweise energieeffizient arbeiten. In Kombination mit einer Nährlösung und einer optimalen Belüftung benötigt beispielsweise Salat, der auf dem Feld 60 Tage bis zur Genussfähigkeit braucht, unter dem LED-Licht nur 30 bis 35 Tage bis zur Reife. Bisher ist diese Produktion allerdings noch nicht wirtschaftlich zu betreiben: In ihrer vertikalen Farm können Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zwar täglich 13 t frische Lebensmittel ernten, doch die Kosten für die Produktion von 1 kg Gemüse liegen zurzeit bei zwölf Euro. „Dennoch ist die Richtung interessant: Bei weniger zur Verfügung stehenden Ressourcen sind solche Ansätze möglicherweise in Zukunft zu Kapital zu machen“, kommentiert Christan Schindler.

Integrierte Lösung von ABB

Die allgemeine Versorgung aus vertikalen Farmen ist derzeit noch Zukunftsmusik. Dagegen ist die Nutzung von ABB-Technologien in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie alltägliche Realität. Wer in einem Supermarkt seinen Einkaufswagen zur Kasse schiebt, kann fast immer sicher sein, Lebensmittel an Bord zu haben, die mithilfe von ABB-Technik hergestellt wurden. Ob Pizzen von Dr. Oetker oder Wagner, Süßes von Lindt & Sprüngli oder Coppenrath & Wiese, gehaltvolle Getränke von Absolut und der Badischen Staatsbrauerei Rothaus oder hochwertige Molkereiprodukte von FrieslandCampina, irgendwo im Produktionsprozess spielen Roboter, Sicherheitssteuerungen, Antriebe, Messinstrumente oder ein Leitsystem von ABB ein entscheidende Rolle – vielfältige Produkte und Lösungen, die speziell auf die besonderen Anforderungen der Nahrungs- und Genussmittelindustrie abgestimmt sind. „Unsere Kunden suchen eine integrierte Lösung für ihre komplexen Aufgaben“, sagt Gernut van Laak, Group Automation Solutions Leader Food & Beverage bei ABB. „Dieses Lösungsfeature wollen wir maßgeschneidert liefern. Dazu arbeiten mehrere ABB-Divisionen mit ihren jeweiligen Produkten so zusammen, dass die für den Kunden beste Applikationslösung als individueller Mix von Produkten entsteht.“ Diese Herangehensweise steht auch beim aktuellen, konzernweiten 1000-Tage-Programm von ABB für Food & Beverage im Fokus. „Wir wollen noch häufiger direkt mit den Endkunden sprechen, um deren Bedürfnisse aus erster Hand kennenzulernen“, sagt Gernut van Laak. „Wir wollen wissen, wo der Schuh drückt, und empfehlen dann Lösungen, die mehrere Probleme zugleich adressieren.“

Information als Wettbewerbsfaktor

Auf der BrauBeviale in Nürnberg hat ABB brauerei- und getränkespezifische, integrierte Systemlösungen für komplexe Aufgaben vorgestellt. Dazu zählen Produkte wie Prozessleitsysteme, MES (Manufacturing Execution System) oder die gesamte Palette der Sensorik und Aktorik, aber auch Antriebe, Motoren oder Roboter. Außerdem liefert ABB die elektrotechnische Ausrüstung für Hoch-, Mittel- und Niederspannung. Branchenspezifische Applikationslösungen beinhalten Software und Dienstleistungen, die beispielsweise dafür sorgen, dass Automatisierungsinseln miteinander kommunizieren können oder dass Prozesse einfach zu optimieren sind. Ziel ist eine integrierte, vernetzte Automatisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette einer Brauerei – vom Rohstoffeingang über das Sudhaus und den Gärkeller bis hin zur Abfüllung und der diskreten Logistik. Zudem stellen Automatisierungslösungen von ABB alle erfassten und generierten Informationen in Echtzeit dort zur Verfügung, wo sie benötigt werden. „Das Automatisierungssystem gewährt dem Anlagenfahrer Zugriff auf alle prozessrelevanten Daten, der Produktionsleiter erfährt auf Mausklick die wichtigsten Parameter eines ganzen Betriebes, die Instandhaltung bekommt passend aufbereitete Zustandsinformationen der einzelnen Anlagenkomponenten, beim Betriebsleiter laufen die Daten unterschiedlicher Anlagen zusammen – alle diese Informationen sind ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor“, sagt Gernut van Laak.

Energie für die Käserei Bayernland

Die Käserei Bayernland mit den Standorten Amberg, Regensburg und Bayreuth setzt bei der Energieversorgung auf ABB. Die E-W-S GmbH betreut die Käserei Bayernland seit vielen Jahren bei Servicearbeiten. Das Unternehmen, gegründet und geführt vom früheren ABB-Mitarbeiter Alois Hägler, hat kürzlich zum Austausch von alten Anlagen mehr als 20 Schaltfelder SafePlus 24 kV von ABB samt Abzweigschutz- und Steuerungsrelais REF 615 sowie Sensorik geliefert und montiert.

Rügenwalder Mühle spart 50 % Strom

Die Teewurst der Rügenwalder Mühle wird traditionell mit Buchenholz geräuchert. Der Buchenrauch wird in Raucherzeugern produziert und mit Lüftern in die Kammern geblasen. Zweistufige, polumschaltbare Asynchronmotoren hatten die Lüfter seit 1992 angetrieben. Um spürbar Energie einzusparen, wurden diese durch moderne IE4-Pakete aus Synchronreluktanzmotor und Frequenzumrichter ACS880 von ABB ersetzt. Eine Vergleichsmessung vor und nach der Umrüstung ergab eine Energieeinsparung von knapp 50 %. Die Investition in die neue Antriebstechnik amortisierte sich für die Rügenwalder Mühle innerhalb von 1,3 Jahren.

Jedes Fass passt

Die Keg-Anlage der Badischen Staatsbrauerei Rothaus war in den vergangenen Jahren zum Engpass geworden: Sie schaffte nur 120 Fass pro Stunde und konnte zudem nur DIN-Keg handhaben. Kegs sind zylindrische Mehrwegfässer, meist aus Edelstahl. Rothaus wollte die Flexibilität erhöhen, um die gewachsene Zahl an unterschiedlichen Fasstypen ohne Umstellung verarbeiten zu können. Statt der konventionellen Palettieranlage übernehmen nun zwei Industrieroboter IRB 6640 Foundry Plus 2 von ABB das Be- und Entladen. Sie können alle Keg-Arten wie DIN- und Euro-Keg sowie unterschiedliche Größen für 20, 30 und 50 l ohne Umstellen der Roboter oder deren Greifer handhaben. Am Startpunkt der Anlage kommen zwei oder drei übereinandergestapelte Paletten, beladen mit je sechs Kegs, in einen konventionellen Entstapler. Er vereinzelt die Paletten und bringt sie zur Entladestation. Der Roboter greift nacheinander je ein Keg, dreht es um 180°, sodass das Ventil auf die Unterseite kommt, und setzt es auf das Transportband. Am Ende der Anlage greift der zweite IRB 6640 die Gebinde und setzt sie auf eine leere Palette.

Bei der Badischen Staatsbrauerei Rothaus ersetzen zwei IRB 6640 Foundry Plus 2 die konventionelle Palettieranlage.
Bei der Badischen Staatsbrauerei Rothaus ersetzen zwei IRB 6640 Foundry Plus 2 die konventionelle Palettieranlage.

Recycling bei Migros

Während ihre „Brüder“ im badischen Rothaus sozusagen am Beginn des Umlaufs einer Getränkeverpackung arbeiten, werden zwei ABB-Roboter bei der Genossenschaft Migros in Zürich erst dann aktiv, wenn die Getränkeverpackungen ausgetrunken sind: Seit 2014 sind sie das zentrale Element beim Handling des gesamten PET- und Karton-Recyclings der Migros-Einzelhandelsmärkte im Großraum Zürich. In der Recyclinganlage kommen die Verpackungsabfälle per Lkw in drei verschiedenen Behälterpaletten mit Faltgittern an. Ein ABB-Roboter greift die vollen Behälter – pro Stunde bis zu 150 Stück mit bis zu 160 kg Gewicht – und kippt die Ladung entweder in den PEToder den Kartonschacht. Um welche der drei Sorten Behältnisse es sich handelt und ob sie in der einstöckigen oder zweistöckigen Version kommen, spielt dabei keine Rolle.

Statt der konventionellen Palettieranlage übernehmen nun zwei Industrieroboter das Be- und Entladen.