"Wir müssen mehr ausprobieren dürfen"
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Prof. Dr. Arnd Stephan erläutert im Interview die Leistungen, Chancen und Herausforderungen des Nahverkehrs von heute und morgen
Der Ausbau des – elektrischen – ÖPNV ist ein vielerorts propagiertes und auch gesellschaftlich akzeptiertes Ziel, aber die ungenügende Finanzausstattung der Kommunen sowie die langfristigen Planungs- und Genehmigungsverfahren bescheren uns bisher nur wenige wirklich große Projekte. Umfassende Straßen- und Stadtbahnerweiterungen, neue U- und S-Bahnstrecken in Deutschland oder erfolgreiche elektrische Buslinien sind bisher an zwei Händen abzählbar – obwohl es überall große Visionen gibt. Das liegt zum Teil auch daran, dass lange Zeit die Illusion geweckt wurde, der automatisierte elektrische Individualverkehr würde die Mobilität in den Städten grundlegend und schnell verändern. Ich sehe das keinesfalls so, denn dafür haben wir einfach zu wenig Verkehrs- und Abstellflächen. Und das ist der größte Engpass. Verkehrsflächen müssen durchgängig hoch ausgenutzt, also befahren werden, und das bietet nur der leistungsfähige – weil elektrifizierte – Massenverkehr mit Bahnen und fallweise auch Bussen. – Ja, die Straßenbahn erlebt als Stadtbahn derzeit eine Renaissance, allerdings zuerst in Frankreich und anderen europäischen Ländern. Ich glaube, dass dies auch in Deutschland Schule machen wird.
Die effizienteste und nachhaltigste Art des Stadtverkehrs sind fahrleitungsgebundene elektrische Bahnen – solange das notwendige hohe Aufkommen dafür da ist. Das haben Untersuchungen und auch die langjährige Praxis gezeigt. Die Fahrzeugantriebe mit stromrichtergespeisten Drehstrommotoren sind leistungsstark und energieeffizient, Rückspeisung ist seit mindestens 20 Jahren überall Standard. Elektrische Hybridfahrzeuge mit Batterien sind in diesem Segment allenfalls Ergänzungs- und Nischenlösungen – nicht nur aus Gründen der geringen Leistungen. Langfristig ist dieses Geschäft aufwändiger und teurer als der Betrieb mit hoch ausgenutzten, extrem langlebigen Fahrleitungsanlagen. Dennoch ist die Entwicklung auch im Hybridsektor gut vorangekommen und ermöglicht uns heute, den zumindest in Deutschland totgesagten O-Bus nunmehr wieder als Hybrid-Oberleitungsbus mit Nachladung während der Fahrt ernsthaft zu diskutieren.
Auch bei der Eisenbahn gibt es inzwischen verschiedene Hybridkonzepte zur schrittweisen Ablösung der Dieseltraktion. Allerdings betrifft das nur etwa 10 % der Transportleistungen auf deutschen Gleisen, über 90 % der Tonnage fährt elektrisch. Somit ist das Marktsegment für die Hybride klein. Aus heutiger Sicht bieten diejenigen Systeme Vorteile, die die bestehende Elektrifizierungsinfrastruktur zum Laden oder sogar elektrisch Fahren mit nutzen können. Aktuell kommt es darauf an, mit den verschiedenen Systemen Erfahrungen im Alltagsbetrieb zu sammeln. Durchsetzen werden sich wohl diejenigen, die die Migration in den technisch und betrieblich stark reglementierten Eisenbahnsektor hinbekommen.
Ich glaube nicht, dass Fahrverbote kurzfristig wirklich helfen, solange ihre Einhaltung nicht strikt kontrolliert wird. Wer bitte kann das leisten? Und bevor so etwas greift, muss erst das Alternativangebot so toll sein, dass sich der freiwillige Umstieg lohnt. Und das wird noch lange dauern, siehe Planungs- und Finanzierungssicherheit. Ein drohender Verkehrskollaps kann jedoch den Diskussion- und Entscheidungsprozess voranbringen, und die Politik muss dann auch richtig tief in die Tasche greifen wollen.
Die Passagiere wollen zu allererst einen ÖPNV ohne Zugangshürden, also ohne komplizierte Fahrplan- und Tarifsysteme. Und dann wollen sie verlässlich unterwegs sein. Der Komfort kommt erst danach, ist aber für den Umstieg aus dem Auto wichtig. Die Politik will so viel wie möglich Angebot, aber zu den geringsten Kosten. Das führt manchmal dazu, dass Qualität und Verlässlichkeit eben nicht zum Besten sind. Die Betreiber müssen dazwischen ihre Rolle finden, nachhaltige Wertschöpfung oder gar Innovationen sind dann extrem schwierig. Das bietet allerdings Chancen für die Hersteller, ihrerseits Innovationen einzubringen, für deren technische Risiken sie dann aber auch gerade stehen müssen. Hierzu braucht es Geduld, denn jede Innovation kann leider erst im Betrieb reifen. Die Bahntechnik ist ein Sektor, der mangels Stückzahlen keine jahrelangen Entwicklungs- und Erprobungszeiträume vorschalten kann. Meine Meinung: wir müssen mehr ausprobieren dürfen, ohne bei neuen Technologien sofort in die Pönale-Falle zu laufen, also eine Vertragsstrafe befürchten zu müssen. Auch hier ist die Politik gefragt. Und die Öffentlichkeitsarbeit.
Schwierig zu sagen, irgendwie hängt das ja alles zusammen. Aber wie genau? Zunächst die große Chance: Alles wird mehr und mehr elektrisch. Nach den Bahnen jetzt die Busse, die Autos, die Lkw, die Schiffe, teilweise sogar die Flugzeuge. Aber die Herausforderungen wachsen damit auch: viel mehr elektrische Leistung, viel mehr elektrischer Energiebedarf. Die volatile Einspeisung macht unsere Netze anfälliger, solange wir uns keine konventionellen Reserven mehr leisten wollen. Und der elektrische Verkehr hängt an diesen Netzen mit dran. Viele dezentrale, schnelle Regler, die nur auf wenige Führungsgrößen sehen, tragen auch nicht unbedingt zur Erhöhung der Netzstabilität bei. Andererseits sind inzwischen dezentrale Speicherlösungen auf dem Markt, die hier Ausgleich schaffen können – aber dafür gibt es wiederum kaum langfristige Geschäftsmodelle. Wir müssen uns mit den technischen und regulatorischen Herausforderungen detaillierter befassen, vor allem auch die Wissenschaft. Wir sind dran.
Dafür lohnt es sich, mal 20 bis 50 Jahre zurückzuschauen. Was war anders, was kam bahnbrechend hinzu? – Nichts so grundsätzlich Neues. Elektrische Straßen-, Stadt,- U- und S-Bahnen, auch Trolleybusse fuhren auch 1968 und 1998 schon, betrieblich ganz ähnlich wie heute. Die Antriebstechnik ist etwas effizienter geworden, aber dadurch bleibt jetzt auch weniger Luft nach oben. Es wird digitaler werden: die Planungsprozesse, das Engineering, die Betriebsführung, das Ticketing. Ziel muss mehr Durchsatz bei weniger Zugangshürden sein. Das alles hängt allerdings kaum vom elektrischen Antrieb und seiner Energieversorgung ab. Elektrischer Verkehr, ganz gleich mit welchen konkreten Fahrzeug- oder Energieversorgungstechnologien, ist immer ein Infrastrukturthema. Und Infrastrukturen sind sehr, sehr langlebig, das heißt wertstabil. So etwas ändert man nur langsam. Das zeigen die U-Bahnen weltweit. Die sind zum Teil über 100 Jahre alt, tragen die Hauptlast des Verkehrs und werden mindestens nochmal weitere 100 Jahre fahren. Weil sie ihre vergleichsweise geringen Flächen maximal ausnutzen und noch dazu hoch effizient sind – dank der Elektrotechnik. Meine Anforderung lautet: mit dem, was wir haben, mehr machen.