Machen wir eine kleine Zeitreise und begeben uns in die 1880er Jahre: Welches Lager hätten Sie im Stromkrieg unterstützt: Team Edison oder Team Westinghouse?
Anna Katharina Deiters: Meine salomonische Antwort: Ich hätte zwischen den konkurrierenden Kräften vermittelt und auf die spezifischen Vor- und Nachteile hingewiesen. Gleichstrom ist effizient für kurze Entfernungen und dezentrale Netze, während Wechselstrom durch Transformatoranpassungen über lange Distanzen vorteilhaft ist. Gleichstrom eignet sich besonders für Geräte und Anlagen in der Nähe der Stromquelle, wie Batteriesysteme oder Solaranlagen. Wechselstrom wiederum ermöglicht eine einfache und kostengünstige Erzeugung, weshalb er in den meisten Stromnetzen weltweit dominiert.
Beide Systeme haben jedoch auch Nachteile. Gleichstrom erfordert einen höheren Aufwand für Spannungstransformation über lange Distanzen, was zusätzliche Kosten und Energieverluste verursacht. Wechselstrom hat höhere Verluste bei Übertragung über kurze Distanzen, besonders bei dezentraler Erzeugung erneuerbarer Energie. In puncto Sicherheit ist Gleichstrom bei Berührung weniger gefährlich, da die Stromrichtung konstant bleibt. Insgesamt hängt der Einsatz von Gleichstrom oder Wechselstrom von spezifischen Anforderungen wie Entfernung, Effizienz, Gerätekompatibilität und Sicherheit ab.
Was sind denn typische Anwendungsbereiche für Gleichstrom?
Anna Katharina Deiters: Gleichspannung kommt dann zum Einsatz, wenn es gilt, Verluste zu vermeiden, die bei der Umwandlung von Gleichstrom in Wechselstrom auftreten. Aus diesem Grund wird seit einiger Zeit die Möglichkeit diskutiert, lokale Gleichstromnetze in verschiedenen Bereichen einzurichten, zum Beispiel in der Industrie, in Rechenzentren, aber auch in großen Gebäuden mit Photovoltaik-Anlagen.
Gerade bei Data Centern sind Gleichstromkonzepte sehr erfolgreich, da Hochleistungsserver, Data Storage und Switches bereits mit Gleichstrom arbeiten. Und auch die USVs über Batterien und Notstromaggregate in Rechenzentren nutzen Gleichstrom. Wird ein Rechenzentrum mit Wechselstrom versorgt, brauchen alle Komponenten – Server, Speicher, Switches – ein Netzteil mit Gleichrichter. Diese Umwandlung erzeugt enorm viel Wärme, die wiederum energieintensiv durch Klimatechnik abgeführt werden muss. Der Einsatz von Gleichstrom wäre hier deutlich energieeffizienter.
Und welche Rolle spielt Gleichstrom bei der Energie- und Mobilitätswende?
Anna Katharina Deiters: Ein Ansatz ist, den Gleichstrom der Photovoltaikanlage im Haushalt und für Mikronetze zu nutzen. Denn Solarmodule produzieren Gleichstrom, der jedoch für die Einspeisung in bestehende Stromnetze in Wechselstrom konvertiert wird. Diese Konvertierung führt zu Energieverlusten. Gleichstrom-Mikronetze könnten dafür sorgen, dass alle Haushaltsgeräte, die mit Gleichstrom betrieben werden, direkt durch die Solar-Anlage mit Energie versorgt werden. Und auch bei der E-Mobilität gibt es spannende Einsatzbereiche für Gleichstrom. Beim Laden von E-Autos können Energieverluste vermieden werden, wenn Gleichstrom direkt nutzbar gemacht wird: Die Batterien arbeiten nur mit Gleichstrom. Wird ein E-Auto an die Wallbox angeschlossen und mit Strom betankt, muss der Wechselstrom aus dem Netz in Gleichstrom umgewandelt werden. Ein Micro-Gleichstromnetz für solarbetriebene Wallboxen würde Umwandlungsverluste umgehen.
Und wie sehen Sie die Chance für Gleichstrom im industriellen Umfeld?
Anna Katharina Deiters: Allgemein gesagt sorgt der Umstieg auf ein Gleichstromnetz dazu, Wandlungsverluste zu reduzieren, Spitzenlasten zu vermeiden und Energieverbräuche zu senken. Bei Maschinen mit drehzahlgeregelten Elektromotoren, wie z. B. Robotern, entsteht beim Abbremsen Energie, die bisher im Wechselstromnetz verloren geht. Das Gleichstromnetz ermöglicht die Rückgewinnung dieser verlorenen Energie, indem sie zurückgespeist wird. Dadurch können vorhandene Energieeffizienzpotenziale besser genutzt werden.
Ähnlich verhält es sich bei Verwendung von drehzahlgesteuerten Motoren in Wechselstromnetzen. Diese Motoren sind in der Regel Gleichstromverbraucher. Der Nachteil besteht darin, dass bei jedem Gerät Wechselstrom separat in Gleichstrom umgewandelt werden muss.
Eine Netzstruktur basiert auf einer Wechselspannungseinspeisung, bei der die Umwandlung nicht mehr einzeln für jedes Gerät erfolgt, sondern zentral am Einspeisegerät. Durch die direkte Versorgung mit Gleichstromspannung entfallen alle dezentralen Energiewandlungen, wodurch Wandlungsverluste erheblich reduziert. So wird eine zentrale Energiewandlung von Wechsel- auf Gleichstrom wesentlich effizienter.
Und ein letztes Beispiel: In automatisierten Anlagen besteht ein hoher Leistungsbedarf, was zu hohen Stromspitzen führen kann. Durch den Einsatz von Gleichstromnetzen, die Batterien oder andere Speicher integrieren, können Stromspitzen erheblich reduziert werden. Denn die Speicher liefern genau dann Energie, wenn sie benötigt wird, was zu einer Einsparung der Stromkosten führt, da nicht nur die Strommenge, sondern auch die Spitzenleistung berücksichtigt wird.