Über eine Tonne Karton in 15 Minuten palettierbar: Aviro sorgt mit ABB-Robotern für Tempo

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ABB-Roboter garantieren hohe Geschwindigkeit und Präzision im weltweit ersten universellen, vollautomatischen System zum De-Palettieren von Kartonzuschnitten.  

Auch an der Kartonverarbeitung geht der Fachkräftemangel nicht spurlos vorbei. Faltschachteln, etwa für Lebensmittel oder Taschentücher, werden in der Regel nach dem Ausstanzen als Stapel von Kartonzuschnitten angeliefert und mit Klebemaschinen zusammengeklebt. Lange Zeit haben Arbeitskräfte diese Stapel manuell von der Palette gehievt, umgedreht und der Folgemaschine zum Verarbeiten zugeführt.

Bei Stapeln mit einem Gewicht von bis zu 65 Kilogramm bedeutet dies körperliche Schwerstarbeit. Da die Kartonzuschnitte lose übereinander liegen, braucht es neben Muskelkraft auch Erfahrung und Geschick, um sie korrekt in die Maschine einzulegen, ohne dass diese sich „verschluckt“.   Zudem finden sich immer weniger Menschen, um diese anstrengende und monotone Arbeit zu verrichten.

„In Zeiten des Arbeitskräftemangels geht es bei der Automatisierung nicht länger darum, Personal einzusparen, sondern, Prozesse aufrecht zu erhalten, wenn das Personal fehlt“, erklärt Dr. Julius Schröder-Frerkes, Gründer der AVIRO GmbH & Co. KG. Um die Lücke zwischen den Arbeitsschritten Stanzen und Kleben automatisiert zu schließen, hat er seine 40 Jahre Expertise in das 2015 gegründete Automatisierungsunternehmen einfließen lassen. Sein Ziel: das erste universelle automatische System zum Entladen von Paletten mit Kartonzuschnitten zu kreieren. Vorstöße in diese Richtung gab es bislang höchstens in Form von sperrigen Sonderlösungen, deren Bedienung fundierte Programmierkenntnisse erforderte.

Allrounder-Anlage gesucht

Die Automatisierung der De-Palettierung war ebenso vielversprechend wie anspruchsvoll. Damit Kunden das neue AVIRO-System nahtlos in ihre Produktionsprozesse einbinden konnten, war ein echter Allrounder gefragt. So musste die Automatisierungslösung Hunderte verschiedenster Kartonage-Formate richtig greifen: von 200 x 200 Millimetern bis hin zu 500 x 1.100 Millimetern, mit Stapelgewichten von 3 bis 65 Kilogramm. Um die Prozesse spürbar zu beschleunigen, war eine hohe Produktionsgeschwindigkeit bei einer möglichst kurzen Rüstzeit gefragt. Nicht zuletzt musste das System kompakt in seiner Bauweise sein und sich individuell an die besonderen Erfordernisse des Kunden anpassen lassen. Der eingesetzte Roboter sollte einen ganzen Stapel aus verschiedenen Richtungen aufnehmen, bewegen und ablegen können – egal, wie groß oder schwer dieser Stapel ausfiel. Beim Werkzeug war Fingerspitzengefühl gefragt: Der Greifer durfte beim Eintauchen unter einen Stapel die Kartonzuschnitte oder das Trennblatt nicht beschädigen.

Um den richtigen Roboter für eine derart anspruchsvolle Aufgabe auszuwählen, bedarf es neben den richtigen Spezifikationen einer hohen technischen Expertise auf Herstellerseite – auch im Vertrieb. Damit hat der Automatisierungsexperte ABB Robotics die Wahl für sich entschieden: „Bereits beim ersten Kontakt hatte ich den Eindruck, meine Ansprechpersonen von ABB verstehen meine Anforderung genau. Technisch war der Austausch auf Augenhöhe und es blieben keine Fragen offen“, erinnert sich Dr. Schröder-Frerkes an den Beginn der Zusammenarbeit.

Als Herzstück für das neue De-Palletierungssystem fiel die Wahl von AVIRO auf den Industrieroboter IRB 6700 von ABB. Dieser ebenso robuste und flexible Roboter hat sich vielfach in Anwendungen mit wechselnden Anforderungen bewährt. Mit einer Traglast von bis zu 300 Kilogramm wird der IRB 6700 problemlos mit schweren Kartonage-Stapeln fertig. Stapel greifen, wenden, auf die Förderstrecke legen – ohne Verschnaufpause oder Greiferwechsel läuft der Roboter im Dauerbetrieb. 90 Prozent der Kartonagen-Formate werden von einem Greifer abgedeckt. Sollte bei Sonderformaten doch ein Werkzeugwechsel notwendig sein, nimmt dieser nicht länger als zehn Minuten in Anspruch. Zudem benötigt der Roboter im Vergleich zu seinen menschlichen Kollegen nur einen Bruchteil der Zeit, um den Kartonage-Stapel auf die Förderstrecke zu platzieren. „Wo menschliche Arbeitskräfte an ihre körperlichen Grenzen stoßen und fünf Mal greifen müssten, greift der Roboter nur einmal“, berichtet Marcel Saxler, Leiter der Technik bei AVIRO.

Dieser Geschwindigkeitsvorteil kam beispielsweise bei einem Anwender aus der Lebensmittel-Branche zum Tragen, der mit extragroßen Kartons für Familienpizzen hantieren musste. Hier wog eine Palette über eine Tonne – und wurde von der Anlage binnen einer Viertelstunde verarbeitet.

Evolution einer Universallösung

Die erste Kundenanlage hat AVIRO im Jahr 2018 für einen Taschentuchhersteller realisiert – inklusive Anschluss an die Fördertechnik. Dabei wurde auch das fahrerlose Transportsystem (FTS) in der Intralogistik des Herstellers berücksichtigt. Bei der Planung der Roboterzelle bewährte sich die Programmier- und Simulationssoftware RobotStudio von ABB Robotics. Die darin integrierte Virtual-Robot-Technologie bildet einen Digitalen Zwilling der Robotersteuerung ab, um das Verhalten des künftigen Roboters realitätsgetreu zu simulieren. Für die sichere Integration der Roboterzelle in die Produktion sorgte die Überwachungssoftware SafeMove von ABB. Diese registriert Bewegungen im Umfeld der Roboterzelle und drosselt bei Bedarf die Geschwindigkeit des Roboters, um Kollisionen zu verhindern. Wenn das Lichtgitter zur Anlage unterbrochen wird, bleibt die Anlage sofort stehen.  

Im Schulterschluss mit Experten von ABB wurden Hard- und Software der De-Palettierungsanlage iterativ immer weiter verfeinert, um kundenspezifische Anforderungen zielsicher umzusetzen. Ob während der Konzeption, der Validierung oder in der Testphase beim Kunden – AVIRO konnte sich auf die rasche Reaktion des technischen Supports bei ABB verlassen. „Mein Ansprechpartner von ABB hat mir sogar einmal ‚auf dem kurzen Dienstweg‘ einen Kanister Öl für die Anlage zur Verfügung gestellt“, schmunzelt Marcel Saxler. „Gemeinsam haben wir alle technischen Hürden auf dem Weg zum universellen System genommen“, resümiert Dr. Schröder-Frerkes. Eine dieser technischen Hürden lag in der Natur des Materials. Lose Pappstapel können sich auf dem Transport von der Stanze zur Anlage auf der Palette verschieben. Diese schiefen Stapel gingen dem IRB 6700 anfangs gerne „durch die Greifer“. Die Lösung bestand in einer zusätzlichen Komponente, die dem Roboter beim Griff ein taktiles Feedback gibt. Und sollte der Roboter trotz exakter Programmierung dennoch ins Leere greifen, kann der Bediener ihn auf Knopfdruck in die Nullposition zurücksetzen. Möglich macht es die Programmierfunktion Path Recovery, welche die Bewegungsbahn des Roboters aufzeichnet.  

Erfolgreicher Schulterschluss zwischen den Experten von AVIRO und ABB. Von links: Marcel Saxler, Leiter Technik bei AVIRO, Ralf Naßmacher, Senior Sales Manager bei ABB Robotics, Alexander Mai, Techniker bei AVIRO, Dr. Julius Schröder-Frerkes, Gründer von AVIRO.

Schnell, robust, bedienerfreundlich – die Zukunft der Verpackung

Besonders stolz sind die Experten von AVIRO auf die Bedienerfreundlichkeit ihrer Anlage. „Die Arbeitskräfte benötigen keine erweiterten Programmierkenntnisse. Sie nehmen kurz die Maße der Stapel auf, wählen auf dem Touchscreen das richtige Packmuster aus – und die Anlage läuft“, berichtet Marcel Saxler. In Zeiten des Arbeitskräftemangels spart die intuitive Bedienung einer Anlage – auch durch ungelerntes Personal – viel Zeit und sichert das Fortlaufen der Prozesse auch bei personellen Engpässen.  

Inzwischen sind drei AVIRO-Anlagen bei verschiedenen Kunden im Betrieb. Gemeinsam kommen sie auf insgesamt über 2,5 Millionen verarbeitete Stapel, was mehr als eine Milliarde Zuschnitte entspricht. Die Folgegeschwindigkeit der Verarbeitungsanlage wird durch die Automatisierung im Schnitt um 20 Prozent erhöht. Aktuell tüftelt AVIRO an einer Lösung für das Handling von extragroßen Karton-Zuschnitten mit einer Seitenlänge von über einem Meter. Fest steht: Durch automatisierte De-Palettierung können Anwender ihre Produktionsprozesse signifikant beschleunigen und die Verfügbarkeit erhöhen. Somit entlastet sie die Roboteranlage nicht nur in Zeiten des Arbeitskräftemangels, sondern hilft ihnen auch, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.