In der Leistungselektronik wird IGBT- und Dioden-Technologie als Standard behandelt. Wieso bietet ABB auch Thyristor-basierte Stromrichter an? Bietet diese vergleichsweise alte Technologie heute noch Vorteile?
Wir sehen bei unseren DCS880-Modellen zwei wesentliche Vorteile: Diese Thyristor-basierten Produkte bieten zunächst einmal eine sehr hohe Verfügbarkeit, und das ohne Wartungsaufwand. Hinzu kommt die geringe Verlustleistung, die sich positiv auf den Platzbedarf auswirkt: Wir erreichen ein Verhältnis von 4.500 Kilowatt Leistung pro Quadratmeter Stellfläche. Das bedeutet, dass DCS880-Modelle oft nur die Hälfte des Platzbedarfs von ACS880-Modellen benötigen.
Dass der Markt heute in weiten Teilen mit IGBT- oder Dioden-basierten Stromrichtern versorgt wird, liegt maßgeblich am Faktor Oberschwingungsgesamtverzerrung. Diese Total Harmonic Distortion oder THDi bezeichnet bei der Signalanalyse die Größe der Anteile, die durch nichtlineare Verzerrungen eines Signals entstehen. Der Wert liegt bei IGBT-basierten Stromrichtern unter drei Prozent. Bei Thyristor-basierten Maschinen ist er naturgemäß höher. Allerdings gibt es einfache Wege, ihn auch mit dieser Technologie auf fünf Prozent oder weniger zu reduzieren. Unsere Stromrichter der DCS880-Reihe im 24-Puls-Verfahren erreichen somit Werte, mit denen sie gleichauf liegen mit IGBT-Lösungen. Deshalb ist es wichtig, dass wir früh eingebunden sind und mit unseren Kunden die Projekte gemeinsam gestalten können.
THDi-Werte sind Netzrückwirkungen, für die jeder Stromerzeuger individuelle Vorgaben macht. Welche Rolle spielen diese Unterschiede in der Praxis?
Unsere Erfahrung aus bisherigen Projekten sagt, dass es immer auf den konkreten Anwendungsfall ankommt. Was meistens nicht berücksichtigt wird: In den Anlagen der Netzbetreiber ist die Kompensation oft ohnehin schon vorhanden. Und das sollte man natürlich berücksichtigen, wenn man eine Elektrolyse aufbauen will. Sonst zahlt man als Anlagenbetreiber im Zweifel für Leistungen, die überhaupt nicht gebraucht werden. Auch im Mittelspannungsnetz wird viel kompensiert. Da gilt es einfach zu prüfen, welche Technologien einander im Einzelfall am besten ergänzen.
Darüber hinaus können wir auch eine Hybridlösung anbieten: zum Beispiel in Form einer Anlage, die aus einem ACS880- und drei DCS880-Stromrichtern besteht, die gemeinsam an einem Fünfwickler-Transformator mit 24-Puls-Verfahren verschaltet werden. Das reduziert die Netzharmonischen auf ein Minimum. Darüber hinaus gewährleisten wir mit diesem Setup volle Variabilität, weil die Anteile beider Technologien verändert werden können. So können wir in Sachen Verlustleistung und Preisverhältnis immer die optimale Lösung anbieten und der Kunde zahlt nur, was er wirklich benötigt …
… allerdings scheint der Beratungsbedarf dafür recht hoch zu sein. Gibt es allgemeine Empfehlungen, die Sie grundsätzlich allen Akteuren geben, die jetzt in die Wasserstoff-Elektrolyse einsteigen wollen?
Bei solchen Projekten spricht man ja ohnehin sehr ausführlich miteinander und klärt die Möglichkeiten und Erwartungen genau ab. Wenn der Kunde mit uns redet, uns den Standort zeigt und seine Erwartungen genau vermittelt, gewährleistet das die bestmögliche Umsetzung des Projekts. Das gelingt nur, wenn alle Beteiligten das Ziel genau kennen. Schließlich muss man zahlreiche Faktoren bedenken, vom Standort über die Infrastruktur und die Netzharmonischen bis hin zum Ex-Schutz.
Von diesen Erfahrungen aus zahlreichen Wasserstoffprojekten sollen unsere Kunden auch profitieren. Für den Standort bedeutet das zum Beispiel: Wer bislang nur BHKWs in Siedlungsnähe betreibt, hat unter Umständen noch gar nicht bedacht, welche Herausforderungen der Betrieb einer Wasserstoff-Elektrolyse in einer sonnenreichen Gegend mit sich bringt, die hunderte Kilometer von der nächsten größeren Stadt entfernt ist. Eine Vision für die Zukunft dreht sich um die Idee, die Elektrolyse als Offshore-Lösung direkt beim Windpark zu betreiben. Statt elektrischer Energie wird dann also Wasserstoff an Land geholt. All das gilt es im Rahmen der Projektplanung zu bedenken.
Mit unserem Service sind wir darauf ausgerichtet, Kunden an jedem Ort auf der Welt nicht nur auszurüsten, sondern auch im laufenden Betrieb zu unterstützen. Unser Servicenetzwerk erstreckt sich über 70 Länder auf allen Kontinenten. Wir bieten mit mehr als 600 Partnern Installationen und Trainings, Service und Ersatzteile – das alles ist von vornherein Teil unseres Angebots. Für den ökonomischen Betrieb einer Anlage kann das entscheidend sein, besonders bei einem so neuen Gebiet wie der Produktion von Wasserstoff zur Energieversorgung. Deshalb gibt es für die Wasserstoffelektrolyse auch keine „One Size fits all“-Lösung. Und wir wollen schließlich nicht einfach nur Produkte verkaufen, sondern individuelle Lösungen anbieten und Erwartungen erfüllen.
Das klingt ein bisschen, als würden Sie die Wasserstoff-Elektrolyse nicht durch die Brille der Leistungselektronik betrachten, sondern eher als einen Teil der chemischen Industrie sehen.
Das Spannende an der Wasserstoffproduktion ist, dass sie sich genau an der Schnittstelle beider Bereiche befindet. Einerseits geht es um chemische Prozesse, für die ein gewisses Maß an verfahrenstechnischer Expertise nötig ist. Andererseits ist Know-how in der Leistungselektronik ein entscheidender Faktor.
ABB ist in beiden Welten zu Hause. Das zeigt sich übrigens auch in den Bedienkonzepten unserer Maschinen und Komponenten. Wer Pumpen oder Kompressoren mit Leistungen von vier oder fünf Kilowatt mit ABB-Technik betreibt, wird sich auch mit unseren Stromrichtern wohlfühlen, die 10 oder 20 Megawatt Leistung bringen. Denn das Bedienkonzept ist das gleiche – von den Busanbindungen über die Safety-Technologie bis hin zu den Parametriermöglichkeiten.
Für viele Akteure, die vor dem Hintergrund der boomenden Wasserstoff-Industrie jetzt von der einen in die andere Welt einsteigen wollen, ist das erstmal ein Sprung ins kalte Wasser. Aber was anfangs herausfordernd aussieht, machen wir unseren Kunden wirklich so einfach wie möglich. Gerade weil wir die Herausforderungen beider Welten kennen, können wir diese wachsende Branche bestmöglich unterstützen und der Wertschöpfungskette von Wasserstoff zum Durchbruch verhelfen.