Unter Wasser: Innovative Energiespeicher mit Frequenzumrichtern von ABB

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Intro

Das System StEnSea (Stored Energy in the Sea) überträgt das Funktionsprinzip der Pumpspeicher-Kraftwerke auf den Meeresboden. Eine Schlüsselkomponente bei dem innovativen Konzept zur Offshore-Speicherung großer Mengen elektrischer Energie sind die Unterwassermotorpumpen von Pleuger Industries. Ein rückspeisefähiger ABB-Frequenzumrichter ACS880-17 regelt die Stromerzeugung und den Pumpbetrieb bei deren Einsatz.

Die Idee ist revolutionär: Das Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE hat einen Unterwasser-Energiespeicher entwickelt, der das Prinzip der Pumpspeicher-Kraftwerke auf den Meeresgrund überträgt. Windkraft wird dabei mit Wasserdruck in küstennahen Stromnetzen kombiniert.

Herzstück des Systems StEnSea (Stored Energy in the Sea) sind hohle Betonkugeln, die mit Tauchpumpen ausgestattet sind und in einer Tiefe von 600 bis 800 Metern auf dem Meeresboden platziert werden. Diese Kugeln dienen als Energiespeicher. Eine große Meerestiefe ist dabei entscheidend, weil der hohe Druck in dieser Tiefe eine effiziente Energiespeicherung ermöglicht. Die Technologie eignet sich daher besonders für Küstenregionen mit tiefen Gewässern, wie Norwegen, Portugal, die Ost- und Westküste der USA, Brasilien und Japan.

Vergleichbar mit Pumpspeicherkraft an Land

In einem aktuellen Projekt soll vor der kalifornischen Küste eine Betonkugel mit neun Metern Durchmesser verankert werden. Auf ihrer Oberseite befindet sich eine Öffnung, in die eine Pumpenturbineneinheit integriert ist. Soll Energie gespeichert werden, pumpt die Unterwassermotorpumpe das Wasser gegen den Druck des umgebenden Wassers aus der Kugel. Dadurch entsteht im Inneren der Kugel ein Vakuum, wobei die Energie als potenzielle Energie gespeichert wird. Die Unterwassermotorpumpe wird dafür mit überschüssigem Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind oder Sonne betrieben. Steigt der Energiebedarf im Laufe des Tages, wird ein Ventil geöffnet und Wasser strömt in die Kugel hinein. Die integrierte Pumpe wird dadurch rückwärtslaufend als Turbine betrieben. Das einströmende Wasser treibt die Turbine in der Pumpe an und wandelt die kinetische Energie des Wassers in Strom um, der in das Stromnetz eingespeist wird, um die Nachfrage in
Spitzenzeiten zu decken.

Das Fraunhofer IEE arbeitet bei dem Projekt StEnSea mit dem US-amerikanischen Start-up Sperra zusammen, das sich auf den 3D-Betondruck für Anwendungen im Bereich der erneuerbaren Energien spezialisiert hat. Zweiter Partner ist Pleuger Industries (Pleuger), Hersteller von Unterwassermotorpumpen, einer Schlüsselkomponente der StEnSea-Kugelspeicher. Der Pumpenhersteller war von Anfang an an StEnSea beteiligt und hat mit einer speziell entwickelten Unterwassermotorpumpe zur Entwicklung des ersten Prototyps beigetragen.

„Das System ist in hohem Maße skalierbar und kann in verschiedenen Unterwasserumgebungen auf der ganzen Welt eingesetzt werden, einschließlich Offshore-Küstenregionen und tiefen künstlichen Seen wie geflutete Tagebaue. Durch die Nutzung der vorhandenen Meerestiefe und des Drucks vermeidet das StEnSea-System viele der geografischen und umweltbedingten Einschränkungen, denen herkömmliche Energiespeichertechnologien wie Batterien und Wasserkraft an Land ausgesetzt sind.“

Edris Faez, Team Leader Engineering (R&D) bei Pleuger

In einem Feldversuch mit einer 3-Meter-Kugel im Bodensee haben Forschende des Fraunhofer IEE im Jahr 2016 zusammen mit Partnern bereits nachgewiesen, dass dieses Konzept funktioniert. Bei dem Test wurde dessen Machbarkeit im realen Betrieb an einem Modell im Maßstab 1:10 in rund 100 Metern Wassertiefe überprüft. Nach dem erfolgreichen Test im Bodensee wird jetzt das System in großer Wassertiefe unter Offshore-Bedingungen getestet. Dazu wird das Projekt auf einen 9-Meter-Prototyp ausgeweitet, der 0,5 Megawatt Strom in einer Tiefe von über 600 Metern erzeugen kann. Das nächste Ziel sind Kugeln mit 30 Metern Durchmesser.

ABB-Frequenzumrichter regelt Pump- und Generatorbetrieb

Ein rückspeisefähiges Single Drive-Schrankgerät ACS880-17 von ABB mit einer Nennleistung von 710 Kilowatt regelt in dem Projekt die Pumpen-Motor-Einheit von Pleuger. Der Pumpenhersteller und ABB haben in den letzten Jahren einige Projekte im Bereich Unterwassermotorpumpen durchgeführt, darunter auch das Bodensee-Projekt. Damals wurde ein rückspeisefähiger Frequenzumrichter aus der ACS800-Serie von ABB genutzt. Aufgrund der Erfolge bei diesem Projekt, der guten Zusammenarbeit, der engen Betreuung in allen Projektphasen sowie der qualitativ hochwertigen Produkte entschied sich Pleuger auch beim aktuellen StEnSea-Projekt wieder für ABB.

Der rückspeisefähige Frequenzumrichter arbeitet mit einer aktiven Einspeiseeinheit. Mit dem Vier-Quadranten-Antrieb kann über die Drehzahl und das Drehmoment die Richtung des Energieflusses geändert werden. Der ACS880-17 kann dadurch zum Regeln der Pumpe wie auch der Turbine im Generatorbetrieb eingesetzt werden. Über die Regelung der Drehzahl kann die Leistung des Kugelspeichers angepasst werden. Für den optimalen Pump- und Turbinenbetrieb können verschiedene Drehzahlen gefahren werden.

Die aktive Einspeiseeinheit ermöglicht einen Energiefluss in zwei Richtungen. Das bedeutet, dass der Frequenzumrichter aus dem Netz Antriebsenergie für die Pumpe beziehen kann, um die mit Meerwasser gefüllte Betonkugel leer zu pumpen. Im Turbinenbetrieb kann er Strom in das Netz zurückspeisen, wenn das Meerwasser wieder in die Kugel zurückfließt.

Keine störenden Oberschwingungen

Der ACS880-17 hat neben der Energierückspeisung noch einen weiteren Vorteil gegenüber konventionellen Frequenzumrichtern: Dank der aktiven Einspeiseeinheit und eines integrierten Netzfilters erzeugt er nur sehr geringe Oberschwingungen. Das Gerät kann den Cosinus Phi der Grundschwingung zur Optimierung der Blindleistung unter allen Lastbedingungen auf Eins regeln und erfüllt Oberschwingungsnormen wie IEEE519, IEC61000-3-12 und G5/4 in vollem Umfang. Verglichen mit konventionellen Frequenzumrichtern ist der Oberschwingungsgehalt um bis zu 97 Prozent niedriger.

Nichtlineare elektrische Verbraucher, wie Frequenzumrichter, verursachen Oberschwingungen, die zu unerwünschten Verzerrungen der Spannung und des Stroms in den Netzen führen. Die Oberschwingungen können andere Verbraucher wie Motoren, Transformatoren und weitere elektrische Einrichtungen übermäßig aufheizen. Das erfordert eine zusätzliche Kühlung, sorgt für Energieverluste und kann schlimmstenfalls zu vorzeitigen Ausfällen führen.

Geringer Platzbedarf und optimierte Kosten

Der ACS880-17 wird auf einer schwimmenden Plattform installiert und über ein Kabel mit der Unterwassermotorpumpe verbunden. Zwischen dem Niederspannungsfrequenzumrichter und dem Mittelspannungsmotor ist ein Transformator zwischengeschaltet, der Mittelspannung in Niederspannung umwandelt und umgekehrt. Dank des niedrigen Oberwellengehalts des ACS880-17 kann auch der Transformator kleiner dimensioniert werden. Die kompaktere Größe des Frequenzumrichters und des Transformators spart Platz und somit Kosten im Elektroraum.

Der ACS880-17 bietet eine präzise Regelung des dynamischen Prozesses mit der Möglichkeit, jederzeit auf den Energiefluss Einfluss zu nehmen. Pleuger war eine Programmieroberfläche wichtig, mit der später das System bei Bedarf erweitert bzw. weitere Funktionen genutzt werden können. Mit der integrierten adaptiven Programmierung des ACS880-17 kann das Unternehmen ohne zusätzliche Programmier-Tools oder -Sprachen das Gerät spezifisch an die Anwendung anpassen. Zusätzlich lässt sich mithilfe des neuen UCU-Control Boards auch die offene Software-Plattform ABB Crealizer nutzen, um beispielsweise latenzfreie Applikationen direkt im Antrieb mithilfe von Entwicklungsumgebungen wie Matlab/Simulink oder der C++-Programmierung zu entwickeln.

Test vor der kalifornischen Küste

Als Standort des Unterwasserspeichers wurde ein küstennahes Gebiet vor Long Beach bei Los Angeles (USA) ausgewählt. Das System soll spätestens Ende 2026 in Betrieb gehen. Edris Faez von Pleuger betont: „Abgesehen von seinen technischen Fähigkeiten hat das StEnSea-Projekt auch eine tiefgreifende Wirkung. Durch den Einsatz von Offshore-Energiespeichersystemen können wir viele der mit der herkömmlichen Pumpspeicherung verbundenen Probleme an Land vermeiden, wie zum Beispiel die Auswirkungen auf die Umwelt und Konflikte bei der Landnutzung. Diese Offshore-Lösung vermeidet auch die Abhängigkeit von kritischen Materialien, die für die Batteriespeicherung benötigt werden, und ist damit eine nachhaltigere Option für die Zukunft.“

Das weltweite Potenzial für unterseeische Pumpspeicher-Kraftwerke ist enorm. Mit einem geschätzten technischen Nettopotenzial von 75 Terawattstunden allein in US-Gewässern könnte, die im Rahmen des StEnSea-Projekts entwickelte Technologie das Speicherpotenzial von Onshore-Systemen mit geschlossenem Kreislauf verdoppeln. Die Energie, die bei einem Mal Laden und Entladen einer 30-Meter-Kugel erzeugt wird, entspricht etwa dem Jahresbedarf von zehn Haushalten in Deutschland. Die Leistung der Kugel ist in etwa vergleichbar mit der Leistung einer großen Windenergieanlage. Im Zuge des weltweiten Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft sind solche Innovationen von entscheidender Bedeutung, um eine stabile und widerstandsfähige Energieversorgung zu gewährleisten.

Die wichtigsten Vorteile des StEnSea-Systems

  • Umwelteffizienz: Das System nutzt den natürlichen Druck der Ozeane, wodurch der Bedarf an groß angelegter Infrastruktur verringert und der Einsatz kritischer Materialien, die in Batteriespeichern benötigt werden, vermieden wird.
  • Skalierbarkeit: Der modulare Charakter der Hohlkugeln ermöglicht eine Skalierbarkeit, d. h. das System kann an verschiedene Regionen und unterschiedliche Größenordnungen des Energiespeicherbedarfs angepasst werden. Ein StEnSea-Park kann außerdem zunächst mit wenigen Kugeln in Betrieb gehen und später jederzeit beliebig erweitert werden.
  • Zeitersparnis: Die Bauzeit der Kugeln ist wesentlich kürzer als die eines herkömmlichen Pumpspeicherkraftwerks.