Zwischen Elevator Pitch und Industrie: Nils Daldrup vermittelt zwischen Politik und Wirtschaft

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Die Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik ist für Unternehmen wie ABB essenziell. Doch wie genau läuft diese Kommunikation ab? Welche Rolle spielt ein Unternehmen wie ABB in politischen Entscheidungsprozessen? Und was bedeutet Government Relations in der Praxis? Im Interview spricht Nils Daldrup, der das ABB-Politikbüro in Berlin leitet, über diese Themen.

Herr Daldrup, wie sieht Ihr beruflicher Werdegang aus und wie kamen Sie zu ABB?

Ich habe Politikwissenschaft studiert, erst in Münster und dann in Berlin. Mich hat früh die politische Kommunikation interessiert, das war auch der Schwerpunkt meines Studiums. Darüber bin ich schnell zur Schnittstelle Wirtschaft und Politik gekommen – ein sehr interessanter und abwechslungsreicher Bereich. Schon als Student habe ich in einer Unternehmensberatung für Public Affairs gearbeitet. Nach dem Studium konnte ich dort den Instrumentenkasten des Lobbyings noch besser kennenlernen. Dann bin ich zum Verband der Elektroindustrie gewechselt, in dem ABB neben Siemens, Schneider und Bosch eines der größten Mitglieder ist. So habe ich ABB näher kennengelernt, bin dann vor sechs Jahren ins Berliner Büro von ABB gewechselt und leite es seitdem. 

Nils Daldrup leitet das ABB-Politikbüro in Berlin.

Ihre Rolle klingt spannend. Aber was gehört eigentlich zu Ihrem Job? Wie muss man sich Ihren Alltag vorstellen?

Mein Job ist für viele schwer greifbar. Manche stellen sich vor, dass man die ganze Zeit auf Empfängen in Berlin Champagner trinkt. Das ist natürlich nicht der Fall – obwohl Veranstaltungen auch dazugehören, weil man dort viele Leute trifft. Die passendste Beschreibung für meine Rolle ist die eines Übersetzers in zwei Richtungen. Ich übersetze einmal aus der Politik ins Unternehmen, und einmal umgekehrt. Ich muss wissen, was die Politik aktuell umtreibt – und auch, welche Gesetze und Regelungen in den Ministerien vorbereitet werden.

Je früher man von neuen Regulierungen oder Gesetzen weiß, desto eher kann sich das Unternehmen darauf vorbereiten oder auch noch für Anpassungen werben.

Nils Daldrup, Vice President Government Relations & Public Affairs Deutschland

Der andere Part ist, dass unsere Ingenieure, Forscher, Juristen und Manager mir erzählen, wo bei ihnen der Schuh drückt, was angeschoben oder geändert werden sollte. Meine Aufgabe ist es dann, die Interessen von ABB in die Politik zu bringen. Politik braucht Ideenaustausch und Praxisnähe. Selten war es wichtiger, dass Politik und Wirtschaft einander verstehen.

Kommunikation ist also ein zentraler Teil Ihrer Arbeit. Sprechen Politik und Wirtschaft so unterschiedliche Sprachen, dass es immer einen Übersetzer braucht?

Ja, absolut. Technische Experten stecken oft tief in ihren Themen. Um jedoch einem Politiker eine Problematik zu erklären, muss der berühmte Elevator Pitch gelingen: In der kurzen Zeit, während man mit einem Politiker fünf Stockwerke im Fahrstuhl fährt, muss man die wesentlichen Punkte eines Themas und die gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Relevanz vermitteln können. Dazu braucht es ein gewisses Abstraktionslevel.

Wenn wir schon beim direkten Kontakt mit der Politik sind – wie laufen solche Gespräche mit Politikerinnen und Politikern typischerweise ab?

Das kommt darauf an, wen man trifft. Wenn man mit den Mitarbeitenden in den Ministerien spricht, sind die Gespräche fokussiert und oft sogar partnerschaftlich, da in der Regel beide Seiten eine gute Lösung anstreben und die Bedarfe der Wirtschaft wichtig sind. Wenn man mit einem neuen Mitglied des Bundestags spricht, stelle ich erst einmal grundsätzlich vor, was ABB so macht und beiträgt.

Es gehört auch zu meinem Job, Besuche von Politikern an ABB-Standorten zu organisieren. Wir hatten zum Beispiel Ex-Bundeskanzler Scholz, die früheren Minister Habeck und Lindner sowie jüngst auch den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann zu Besuch. Da geht es dann auch um Thought Leadership – also darum, ABB zu präsentieren und zu zeigen, was unser Beitrag zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt ist.

Für eine solche Vermittlerrolle braucht man sicher besondere Qualifikationen. Welche Fähigkeiten muss man für Ihre Position mitbringen?

Man braucht Verständnis für die Prozesse und für die aktuellen politischen Diskussionen. Es bringt nichts, wenn man eine rein nationale Brille aufhat, wenn es auch um EU-Regulierung geht. Politischer Handlungsdruck entsteht im Moment z.B. durch große geopolitische Entwicklungen. Für mich ist es wichtig, immer auf dem Laufenden zu sein – wer die aktuellen Wendungen nicht kennt, blamiert sich sonst in Gesprächen schnell. Auch Storytelling ist eine häufig unterschätzte Kompetenz für Lobbyisten.

Es ist wichtig, zu Beginn immer die Relevanz eines Themas für das große Bild zu vermitteln und erst dann über die Details zu sprechen.

Nils Daldrup, Vice President Government Relations & Public Affairs Deutschland

Können Sie aus Ihrer Erfahrung berichten, auf welche Themen Sie schon ganz konkreten, spürbaren Einfluss nehmen konnten?

Die neue Bundesregierung wird sich sehr zentral um den Ausbau und die Digitalisierung des Energienetzes kümmern. Es wird zunehmend wichtig in dem mittlerweile sehr dezentralen Energiesystem Nachfrage und Produktion intelligent zu steuern und Anreize für Flexibilität zu integrieren. Erneuerbare Energien, Speicher, Data Center, Wasserstoffanlagen, Wärmepumpen und Ladedepots sollen zunehmend netzdienlich in das Gesamtsystem eingebunden werden. Es wird einen weiteren Push für die Elektrifizierung geben durch die Absenkung des Strompreises. Insbesondere in den Sektoren Gebäude und Verkehr sind Maßnahmen nötig, um die Klimaziele zu erreichen. Das alles sind für ABB sehr wichtige Themen – dabei haben wir viel beizutragen.

Wenn wir über den nationalen Tellerrand hinausschauen – welche EU-Themen sehen Sie aktuell als besonders relevant für die Industrie und speziell für ABB?

Die neue EU-Kommission fokussiert stärker auf Wettbewerbsfähigkeit und den Abbau von Bürokratie als die vorherige. Die grüne Transformation und die Klimaziele bleiben wichtig, die Prioritäten haben sich aber etwas verschoben. Auch angesichts der geopolitischen Entwicklungen – Handelskonflikte, Protektionismus, De-Risking etc. – will die EU-Kommission die Industrie in Europa stärken, Produktionskapazitäten für Schlüsseltechnologien zurückholen bzw. aufbauen und die Resilienz der europäischen Wirtschaft stärken. Es gibt aktuell viele sehr wichtige Vorhaben, die wir eng begleiten, wie z.B. den AI Act, Data Act, Cyberresilience Act oder die Vereinfachung der Berichtspflichten bei der Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung, der Lieferkettenrichtlinie und der Taxonomie-Verordnung.

Apropos Green Deal – welche Rolle spielt dieser für die Strategie von ABB?

Die EU hat sich im Zuge der Bestrebungen der Vereinten Nationen das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein; Deutschland sogar fünf Jahre früher. Aus diesem obersten Ziel leiten sich alle nationalen und sektoralen Maßnahmen und Vorgaben ab. Industrien wie Stahl und Chemie sind daher auf dem komplexen Weg, klimaneutral zu werden. Sie elektrifizieren Prozesse wo es geht oder setzen auf grüne Moleküle, die aus grünem Strom hergestellt werden. ABB ist mittendrin in diesen Transformationen und unterstützt die Kunden bei den konkreten Projekten.

Die Transformation bietet große Chancen für den Standort Europa: als Enabler und Ausrüster, für Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft, für neue Produktionskapazitäten und Jobs sowie für Energiesicherheit und Resilienz

Ein weiteres wichtiges Thema auf EU-Ebene ist die Technologiesouveränität. Wie beurteilen Sie die EU-Initiativen zur Stärkung der europäischen Technologiesouveränität?

Die Phase zwischen dem Ende des Kalten Krieges 1990 und der Finanzkrise 2008 bezeichnen Ökonomen als Hyperglobalisierung. Der globale Handel und die internationale Arbeitsteilung wurden auf die Spitze getrieben. Die Just-in-time-Ökonomie sah hochkomplexe und extrem effiziente Lieferketten und Wertschöpfungsstrukturen vor. Mit den Erfahrungen aus der globalen Finanzkrise, der Pandemie und neuen handelspolitischen Konflikten liegt das Augenmerk heute stärker als zuvor auf der Resilienz von Lieferketten. Die Globalisierung hat ihren Höhepunkt scheinbar überschritten. Der EU Clean Industrial Deal sieht z.B. vor, dass bestimmte Technologien zu einer festen Quote aus Europa kommen müssen. Das wäre noch vor ein paar Jahren unvorstellbar gewesen.

Mit Blick auf Zukunftstechnologien – wie positioniert sich ABB zu den EU-Plänen für eine stärkere Regulierung von KI und Robotik?

Die Regulierung neuer Technologien kann dabei helfen, einen für alle gültigen Rahmen und damit Rechtssicherheit zu schaffen. Wichtig ist jedoch, dass die Regulierung nicht zusätzliche Unklarheiten, unnötige Berichtspflichten oder Bürokratie schafft, die Anwender abschreckt, die Technologie zu nutzen.

Der AI-Act ist ein gutes Beispiel, wie die EU-Kommission mit ihren Regulierungen übers Ziel hinausgeschossen ist. Die strikten Vorgaben sind teilweise kaum zu erfüllen. Politik hat oft in erster Linie Bürger und die Konsumentenwelt bei den Regulierungen im Blick. In der Industrie sind die Anwendungsfälle jedoch gänzlich anders. Mit Künstlicher Intelligenz wird die Programmierung eines Roboters deutlich vereinfacht – und Roboter können kollaborativ mit Menschen zusammenarbeiten. Das hat auch eine politische Dimension, weil es dem Fachkräftemangel entgegenwirkt und die Technik durch die Vereinfachung auch für KMUs zugänglich wird. ABB setzt KI aber nicht nur in der Robotik ein, sondern mittlerweile in nahezu allen Softwareprodukten.

Ein weiteres wichtiges Regulierungsthema ist das EU-Lieferkettengesetz. Welche Bedeutung hat dieses für ABB?

Die Berichtspflichten für Unternehmen haben mittlerweile ein Ausmaß angenommen, das die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa gefährdet. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen können das kaum noch leisten. Zudem ist oftmals die Wirksamkeit der einzelnen Regulierungen fragwürdig. Die neue Bundesregierung hat das ja auch erkannt und eine Abschaffung des nationalen Lieferkettengesetzes angekündigt. Auch die neue EU-Kommission arbeitet an einer Vereinfachung für Unternehmen.

Zum Abschluss jetzt noch einmal eine persönliche Frage: Was treibt Sie in Ihrem Beruf an? Gibt es Themen, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Am spannendsten sind immer die Bereiche, in denen das ABB-Portfolio mit der politischen Agenda zusammenpasst. Wenn wir etwa über Elektromotoren sprechen oder auch den Gebäudesektor und was innovative Technologie und Steuerung dort im Bereich Energieeffizienz bewirken kann, ist das ein Riesenthema. Auch Ladesäulen für E-Mobilität, die Themen Robotik und Automatisierung – es macht überall dort am meisten Spaß, wo die Politik auf das Know-how und den Beitrag der Technologien angewiesen ist. Hier spürt man, wie es vorangeht. Das ist bei ABB in allen Geschäftsbereichen gegeben. Die ABB-Themen sind zu 100 Prozent anschlussfähig in der Politik.