Können Sie aus Ihrer Erfahrung berichten, auf welche Themen Sie schon ganz konkreten, spürbaren Einfluss nehmen konnten?
Die neue Bundesregierung wird sich sehr zentral um den Ausbau und die Digitalisierung des Energienetzes kümmern. Es wird zunehmend wichtig in dem mittlerweile sehr dezentralen Energiesystem Nachfrage und Produktion intelligent zu steuern und Anreize für Flexibilität zu integrieren. Erneuerbare Energien, Speicher, Data Center, Wasserstoffanlagen, Wärmepumpen und Ladedepots sollen zunehmend netzdienlich in das Gesamtsystem eingebunden werden. Es wird einen weiteren Push für die Elektrifizierung geben durch die Absenkung des Strompreises. Insbesondere in den Sektoren Gebäude und Verkehr sind Maßnahmen nötig, um die Klimaziele zu erreichen. Das alles sind für ABB sehr wichtige Themen – dabei haben wir viel beizutragen.
Wenn wir über den nationalen Tellerrand hinausschauen – welche EU-Themen sehen Sie aktuell als besonders relevant für die Industrie und speziell für ABB?
Die neue EU-Kommission fokussiert stärker auf Wettbewerbsfähigkeit und den Abbau von Bürokratie als die vorherige. Die grüne Transformation und die Klimaziele bleiben wichtig, die Prioritäten haben sich aber etwas verschoben. Auch angesichts der geopolitischen Entwicklungen – Handelskonflikte, Protektionismus, De-Risking etc. – will die EU-Kommission die Industrie in Europa stärken, Produktionskapazitäten für Schlüsseltechnologien zurückholen bzw. aufbauen und die Resilienz der europäischen Wirtschaft stärken. Es gibt aktuell viele sehr wichtige Vorhaben, die wir eng begleiten, wie z.B. den AI Act, Data Act, Cyberresilience Act oder die Vereinfachung der Berichtspflichten bei der Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung, der Lieferkettenrichtlinie und der Taxonomie-Verordnung.
Apropos Green Deal – welche Rolle spielt dieser für die Strategie von ABB?
Die EU hat sich im Zuge der Bestrebungen der Vereinten Nationen das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein; Deutschland sogar fünf Jahre früher. Aus diesem obersten Ziel leiten sich alle nationalen und sektoralen Maßnahmen und Vorgaben ab. Industrien wie Stahl und Chemie sind daher auf dem komplexen Weg, klimaneutral zu werden. Sie elektrifizieren Prozesse wo es geht oder setzen auf grüne Moleküle, die aus grünem Strom hergestellt werden. ABB ist mittendrin in diesen Transformationen und unterstützt die Kunden bei den konkreten Projekten.
Die Transformation bietet große Chancen für den Standort Europa: als Enabler und Ausrüster, für Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft, für neue Produktionskapazitäten und Jobs sowie für Energiesicherheit und Resilienz
Ein weiteres wichtiges Thema auf EU-Ebene ist die Technologiesouveränität. Wie beurteilen Sie die EU-Initiativen zur Stärkung der europäischen Technologiesouveränität?
Die Phase zwischen dem Ende des Kalten Krieges 1990 und der Finanzkrise 2008 bezeichnen Ökonomen als Hyperglobalisierung. Der globale Handel und die internationale Arbeitsteilung wurden auf die Spitze getrieben. Die Just-in-time-Ökonomie sah hochkomplexe und extrem effiziente Lieferketten und Wertschöpfungsstrukturen vor. Mit den Erfahrungen aus der globalen Finanzkrise, der Pandemie und neuen handelspolitischen Konflikten liegt das Augenmerk heute stärker als zuvor auf der Resilienz von Lieferketten. Die Globalisierung hat ihren Höhepunkt scheinbar überschritten. Der EU Clean Industrial Deal sieht z.B. vor, dass bestimmte Technologien zu einer festen Quote aus Europa kommen müssen. Das wäre noch vor ein paar Jahren unvorstellbar gewesen.
Mit Blick auf Zukunftstechnologien – wie positioniert sich ABB zu den EU-Plänen für eine stärkere Regulierung von KI und Robotik?
Die Regulierung neuer Technologien kann dabei helfen, einen für alle gültigen Rahmen und damit Rechtssicherheit zu schaffen. Wichtig ist jedoch, dass die Regulierung nicht zusätzliche Unklarheiten, unnötige Berichtspflichten oder Bürokratie schafft, die Anwender abschreckt, die Technologie zu nutzen.
Der AI-Act ist ein gutes Beispiel, wie die EU-Kommission mit ihren Regulierungen übers Ziel hinausgeschossen ist. Die strikten Vorgaben sind teilweise kaum zu erfüllen. Politik hat oft in erster Linie Bürger und die Konsumentenwelt bei den Regulierungen im Blick. In der Industrie sind die Anwendungsfälle jedoch gänzlich anders. Mit Künstlicher Intelligenz wird die Programmierung eines Roboters deutlich vereinfacht – und Roboter können kollaborativ mit Menschen zusammenarbeiten. Das hat auch eine politische Dimension, weil es dem Fachkräftemangel entgegenwirkt und die Technik durch die Vereinfachung auch für KMUs zugänglich wird. ABB setzt KI aber nicht nur in der Robotik ein, sondern mittlerweile in nahezu allen Softwareprodukten.