Metallindustrie im digitalen Zeitalter: Aufstieg der Künstlichen Intelligenz (KI)

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Künstliche Intelligenz (KI) ist immer noch in aller Munde. Nicht zuletzt der Erfolg von ChatGPT trug dazu bei, dass sich das Suchvolumen bei Google binnen eines Jahres bis Ende 2023 vervierfachte. Viele Trends kommen und gehen. Doch Künstliche Intelligenz ist gekommen, um zu bleiben. So auch in der Metallindustrie. Hier gewinnt KI immer mehr an Bedeutung, da sie dazu beiträgt, die Produktionseffizienz zu steigern, den Energieverbrauch zu optimieren und somit zum Ziel der Dekarbonisierung der Industrie beiträgt. Tarun Mathur, Global Portfolio und Sales Manager Digital, Business Line Metals, ABB Process Industries und Frederik Esterhuizen, Global Business Line Manager Metals, ABB, geben spannende Einblicke, wie KI die Metallindustrie verändert.

Welche Rolle spielt KI in der Metallindustrie, was sind die aktuellen Anwendungen und wie kommt dies der Industrie zugute?

Tarun Mathur: Das Thema Industrie 4.0 macht sich in vielen Industriezweigen, auch in der Metallindustrie, bemerkbar. Dazu zählen etwa Aspekte der operativen Exzellenz, Prozessleistung, Anlagenleistung, Nachhaltigkeit und vernetzte Mitarbeitende, alles untermauert durch Cybersicherheit. Wenn man sich die Digitalisierungsreise eines Kunden ansieht, haben Big Data und KI an Bedeutung gewonnen. Noch vor fünf Jahren waren nur 10-20 Prozent der Industrie vernetzt. Die meisten Hersteller hatten zwar automatisierte Systeme, aber sie arbeiteten in Silos.

Seitdem hat eine Transformation stattgefunden, innerhalb derer die Inseln der Automatisierung aufgebrochen, zusammengefügt oder ersetzt wurden, um entweder eine Edge- oder eine Cloud-Infrastruktur zu schaffen, in der alle Daten gespeichert, abgerufen und geteilt werden können. Dies ermöglicht Produktivitäts-, Qualitäts- und Ertragssteigerungen. Das bedeutet, dass eine Branche, die eher als konservativ bekannt ist, einen großen und wichtigen ersten Schritt getan hat. In den letzten zwei Jahren haben wir auch mehr KI-Anwendungen gesehen, die für die Branche relevant sind.

Es ist immer noch ein neues Gebiet, aber das Potenzial ist immens. Wir haben mehr verfügbare Daten auf Kundenseite. Große Organisationen wie ABB können auch dabei helfen, „Big Data“ aus den vielen Industrien, in denen wir tätig sind, zu nutzen, indem sie von anderen lernen und zusammenarbeiten. Für jedes Unternehmen ist eine größere Sicherheit über zukünftige Bedingungen wertvoll, und KI kann diese Vorhersagen verbessern.

Screenshot des Dashboards von ABB Ability Data Analytics.

Das Dashboard von ABB Ability Data Analytics.

Glauben Sie, dass KI und Automatisierung eine Rolle bei der Bewältigung des Fachkräftemangels innerhalb der Industrie spielen können?

Tarun Mathur: Es ist ein bekannter Trend, dass Arbeiter, die das Rentenalter erreichen, länger arbeiten, weil Unternehmen ihre erfahrenen, sachkundigen Mitarbeiter nicht verlieren können. Dies ist nicht nachhaltig, und der Einsatz von KI und Automatisierung kann dazu beitragen, Informationen für die kommenden Generationen zu bewahren. ABB erforscht die Implementierung einer App für vernetzte Arbeitskräfte, sogenannte „Connected Workforces“. Kurzum, KI kann als Assistent einige Herausforderungen der Metallindustrie angehen.

 

Was macht ABB in Bezug auf KI in der Metallindustrie?

Tarun Mathur: ABB investiert in KI-Anwendungen in vielen Branchen. Für uns ist das Thema Arbeitskräftemangel innerhalb der Metallindustrie ein Bereich mit enormem Potential zum Wachstum. Wir haben KI-Pakete entwickelt, die von den vorgelagerten Lagerplätzen über Pelletieranlagen bis hin zum Stahlwerk und den nachgelagerten Walzwerken reichen. Die Anwendungen werden den Betrieb verbessern, die Zuverlässigkeit der Anlagen oder die Gesamtleistung der Werke steigern.

Auf der ESTAD-Konferenz, die in Verbindung mit der METEC-Messe in 2023 stattfand, präsentierte ABB zum Thema „Die Rolle der Künstlichen Intelligenz bei der digitalen Transformation der Stahlindustrie“. Wir haben einige konkrete Wege aufgezeigt, wie KI-Anwendungen den Energiekauf und die Produktion optimieren können, auch bei Kraftwerken vor Ort. Dies kann zu einem effizienteren Energieverbrauch und verbesserten Prognosen für die Strombeschaffung führen, mit einem Unterschied von 10-15 Prozent im Vergleich zu alternativen Lösungen. Daten- und Optimierungsmodellierung sowie regelbasierte Energiemanagement-Algorithmen können den Energieverbrauch in einem Betrieb optimieren und die Sicherheit in der Energieversorgung erhöhen.

Tarun Mathur, Global Portfolio und Sales Manager Digital, Business Line Metals, ABB Process Industries.

Tarun Mathur ist Global Portfolio und Sales Manager Digital, Business Line Metals, ABB Process Industries. Er hat einen Masterabschluss in mathematischer Modellierung und Prozesssteuerung und hatte mehrere Positionen in der Forschung und Entwicklung inne, wo er sich auf die Entwicklung fortschrittlicher modellbasierter Lösungen für die Prozessindustrien konzentrierte. Derzeit liegt sein Fokus auf Projekten, die neue digitale Technologien anwenden, um die Performance, den Prozess und die Qualität von Stahlwerken zu optimieren. 

Frederik Esterhuizen: Bei ABB haben wir über verschiedene Prozessindustrien hinweg Kunden, die unser Collaborative Operations Center nutzen, wo wir unser globales Netzwerk 24/7 bedienen. Hier wird KI eingesetzt, um zukünftige Ausfälle oder potenzielle Wartungsprobleme vorherzusagen sowie den Ort des ursprünglichen Fehlers zu lokalisieren. Ziel ist es, eine Datenbasis von Fällen aufzubauen und im Laufe der Zeit aus den Daten für Prozessverbesserungen zu lernen. Wir können mehrere Standorte desselben Kunden an ein Set-up anschließen, was eine verbesserte Sichtbarkeit der Produktion von Ende zu Ende ermöglicht und daher zu besseren Entscheidungen führt.

In der Metallindustrie können wir mit der ABB Ability Data Analytics Platform for Metals Lernprozesse und Simulationen zu verschiedenen Szenarien durchführen. Sie bietet anlagen- und unternehmensweite Datenintegration, Überwachung, Datenanalyse und Optimierung von einer funktionsreichen und voll skalierbaren, herstellerneutralen Plattform aus. Sie führt die zuvor erwähnten Inseln oder Silos der Automatisierung und Geräte zu einer leistungsstarken Ressource zusammen.

 

Haben Sie Beispiele für die Implementierung von KI in der Aluminiumindustrie?

Tarun Mathur: Einige der besten Beispiele für KI-Anwendungen, die für Aluminium relevant sind, betreffen das nachhaltige Energiemanagement. Um die Energieverwendung zu optimieren, muss der Bedarf besser prognostiziert werden. Hier sind maschinelles Lernen (ML) und KI-Anwendungen weit fortgeschritten, aber es muss noch weiter gearbeitet werden, um genügend Daten und Messungen aus Zyklen von Chargen zu sammeln, um den Energieverbrauch erfolgreich vorhersagen zu können. Wenn Sie Ihren Energiebedarf auf der Nachfrageseite sowie auf der Angebotsseite prognostizieren können und wenn Sie mit dem Strommarktnetz verbunden sind, haben Sie ein gutes Entscheidungssystem, um Ihren Energiekauf zu optimieren und den Energieverbrauch zu minimieren.

Bevor die digitalen Lösungen in den Prozess integriert werden können, muss ein solider Automatisierungs-Layer vorhanden sein. Hier verlassen wir uns auf das bewährte und ständig weiterentwickelte ABB Ability System 800xA Distributed Control System (DCS/PLS). Es ist seit über 20 Jahren als weltweit führendes DCS (Distributed Control System/Prozessleitsystem) für seine Fähigkeiten in den Bereichen Vernetzung, Steuerung und Zusammenarbeit zwischen Anlagen oder Unternehmen bestätigt. Jetzt können mit KI und maschinellem Lernen die massiven Datenmengen, die durch das PLS erzeugt werden, besser analysiert werden, um Kunden zu helfen, die Produktionseffizienz zu steigern, Probleme vorherzusagen und die Lebensdauer von Assets zu verlängern.

Prozessautomation und -steuerung sind der Schlüssel zur Herstellung von Hochleistungsmetallen und eine Voraussetzung für digitalisierte, optimierte und nachhaltige Betriebsabläufe. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf hat ABB eine Reihe von Lösungen entwickelt, die speziell auf Aluminiumhersteller abzielen. Bemerkenswerte Beispiele sind die Regelkreise von ABB für Exzentrizität und Härtekompensation bei Alunorfs Kaltwalz-Tandemstraße in Deutschland.

Zwei weitere Beispiele für ABBs Engagement, die Grenzen der Digitalisierung und Automatisierung im Aluminiumbereich zu erweitern, umfassen das ABB Manufacturing Operations Management for Metals, das verwendet wird, um die Mine, die Raffinerie, die Hütte und das Walzwerk in der weltweit größten voll integrierten Aluminiumanlage zu verbinden. Und das ABB Ability System 800xA Distributed Control System (DCS) wird bei der rekordverdächtigen Zweistrang-Vertikal- Stranggießanlage bei Dillinger Hüttenwerke AG in Deutschland eingesetzt.

Die Implementierung von KI erfordert ein Gleichgewicht zwischen qualifizierten Fachkräften und digitalen Lösungen. Glauben Sie, dass letztendlich Kenntnisse in der Branche verloren gehen werden?

Frederik Esterhuizen: Der Einsatz der neuesten digitalen Tools und Lösungen kann in der Metallindustrie wirklich einen Unterschied machen. Um die Industrie von morgen zu unterstützen, die den Bedarf an Elektrifizierung, Automatisierung und digitalen Lösungen abdeckt, arbeiten wir mit den führenden Industrieunternehmen zusammen, um neue Innovationen zu entwickeln, sowie in der Weiterbildung und Talentgewinnung. Vielfältige Perspektiven und Ideen ermöglichen es uns zu lernen, zu wachsen und größere Ziele zu erreichen. Deshalb ist es unsere Priorität, interessante Karrieremöglichkeiten zu bieten, um den richtigen Talentmix anzuziehen. Wir suchen qualifizierte Fachleute, einschließlich der jüngeren Generation, mit Kompetenzen in Bereichen wie Data Science, Analytik und Nachhaltigkeit.

Werksabnahmetests (FATs) wurden remote mithilfe von VR und AR-Systemen und mit der Unterstützung unserer Experten weltweit durchgeführt. Dies kann oft Flugreisen von Mitarbeitenden über lange Strecken zu isolierten Kundenstandorten vermeiden. Wir haben alle verfügbaren Daten und Zugriff auf die FAT vor Ort. Beide Seiten sind sich einig, dass die Technologien es ermöglichen, dass Menschen an ihrem bevorzugten Standort arbeiten können und dennoch die Abläufe in der Kundenanlage beeinflussen können.

Wir entwickeln kontinuierlich Lösungen für den Remote-Betrieb, die zusätzlich den Vorteil hinsichtlich Nachhaltigkeit bieten. Experten sind jetzt typischerweise an zentralen Standorten verfügbar und betreuen eine Reihe von Kundenanlagen. Ein Beispiel dafür ist der Ability Performance Optimization Service für Kaltwalzwerke. Dieser Service bietet Kunden die Möglichkeit, prozessspezifische Algorithmen mit Echtzeit-Überwachung und Remote-Support von ABB-Experten zu kombinieren. Es ist ein fortschrittlicher digitaler Service, der die Richtung aufzeigt, in die die Industrie gehen muss, um neue Potenziale für die Branche zu erreichen.

Frederik Esterhuizen, Global Business Line Manager für Metals bei ABB.

Frederik Esterhuizen ist Global Business Line Manager für Metals bei ABB und leitet ein weltweites Team von Experten, die sich dafür einsetzen, Metallherstellern dabei zu helfen, Nachhaltigkeit, Qualität, Produktivität und Sicherheit in ihren Betrieben zu verbessern. Während seiner Karriere hat er eine Vielzahl von Rollen in den Bereichen Engineering, Betrieb und Management in mehreren Industrien innegehabt. Er besitzt ein National Higher Diplom in Elektrotechnik und schloss Studien im Projektmanagement mit Auszeichnung ab.

Wie sieht ABB die zukünftigen Einsatzmöglichkeiten von KI?

Tarun Mathur: KI und maschinelles Lernen gehören zu einem breiten Spektrum von neuen Technologien. Sie sind nur so gut wie die verfügbaren Daten und meiner Meinung nach sind einige Bereiche der Metallindustrie noch nicht reif für die Nutzung der Vorteile. Zum Beispiel kann die Temperatur von geschmolzenem Metall bei so hohen Temperaturen mit der heute verfügbaren Ausrüstung und Technologie nicht kontinuierlich gemessen werden. Wir müssen mit einer sorgfältigen Mischung aus digitalen und automatisierten Tools arbeiten, unterstützt von Bedienern und Experten auf dem Gebiet. ABB konzentriert sich auf unterstützende KI, um Mitarbeitenden zu helfen, die Produktivität und Qualität zu verbessern und natürlich Daten zu gewinnen. Wir sehen eine Zukunft mit vielen weiteren Möglichkeiten, wenn wir gemeinsam Fortschritte machen.

 

Glauben Sie, dass es Einschränkungen/Regulierungen für KI geben sollte?

Tarun Mathur: Oft wird von 100 Prozent autonomen Fabriken gesprochen, aber die aktuelle Realität ist, dass wir Menschen brauchen, sei es vor Ort oder an einem zentralen, entfernten Standort. Es besteht Konsens in der Metallindustrie, dass Technologien helfen können, die notwendigen Veränderungen herbeizuführen, damit Menschen die Unternehmensziele und globalen, gesellschaftlichen Ziele im Bereich Energie und Emissionen erreichen können.

Man muss die Balance halten zwischen Genauigkeit, dem Produkt und Sicherheit. Wenn Sie KI implementieren, verbessern Sie die Genauigkeit, aber Menschen haben ihre Intuition und tieferes Expertenwissen über Arbeitsweisen, einschließlich Sicherheit, die in KI bisher nicht nachgebildet werden können.

KI kann, wenn sie nicht gut adaptiert wird, die Produktion als einziges Ziel sehen und Sicherheit, Beziehungen am Arbeitsplatz und soziale Nachhaltigkeitsfaktoren vernachlässigen. KI muss als Assistent für den Menschen fungieren, da jedes Unternehmen den Zweck hinter der Nutzung dieser Tools bedenken muss, der oft darin besteht, die Welt für die Menschen zu verbessern, jetzt und für zukünftige Generationen.