Papierindustrie: Energieverbrauch im Visier – wer nicht spart, verliert

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Eine durchschnittliche Papierfabrik hat den gleichen Energieverbrauch wie eine mittelgroße Stadt mit ca. 50.000 Einwohnern. In Deutschland ist die Papierproduktion nach Metall- und Chemieerzeugung der drittgrößte industrielle Energieverbraucher: Im Jahr 2023 lag der Energieverbrauch der deutschen Papierproduktion bei 52 Terawattstunden, was mit rund 9,8 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen einherging.

Entsprechend hoch ist der Druck, den steigende Energiepreise und ambitionierte Klimaziele auf die Papierindustrie ausüben. Aber es gibt Lösungswege: Mit effizienten Antrieben, KI, Smart Factories und neuer Messtechnik lassen sich schon heute beachtliche Energiemengen einsparen.

Deutschland beherbergt die viertgrößte Papierindustrie der Welt, mit über 500.000 Beschäftigten entlang der Wertschöpfungskette. Und auch wenn der Trend zum „papierlosen Büro“ geht: Einige Papieranwendungen sind nach wie vor nicht digitalisierbar. Das hat die allgemeine Klopapierpanik während der Coronapandemie anschaulich gezeigt. Unterm Strich haben Digitalisierung und Nachhaltigkeit die Nachfrage nach Papierprodukten eher verschoben als gesenkt. Besonders deutlich wird das in den drei größten Anwendungsbereichen: Verpackungspapiere und -kartons, die den boomenden Onlinehandel und den Trend zu nachhaltigen Verpackungslösungen stützen; Hygienepapiere, die für alltägliche Produkte wie Toilettenpapier, Taschentücher oder Küchenrollen unverzichtbar sind; sowie grafische Papiere, die trotz sinkender Auflagen im Printbereich weiterhin für Bücher, Zeitschriften, Werbung und hochwertige Druckerzeugnisse gebraucht werden.

Gleichzeitig ist aber nicht davon auszugehen, dass der Druck von Seiten der Energiepreise und der Nachhaltigkeitsregularien auf die Industrie bald wieder nachlässt. Daher führt kein Weg daran vorbei, den Energieverbrauch der Papierindustrie kWh für kWh zu senken, um Kosten und Emissionen in den Griff zu bekommen.

Nachhaltigkeitsanforderungen und regulatorische Rahmenbedingungen

Deutschland hat das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 gesetzlich verankert; die EU peilt Klimaneutralität bis 2050 an.

Um dabei etwas Druck von besonders energieintensiven Branchen zu nehmen, wurde in Deutschland der Stromsteuersatz für energieintensive Betriebe auf das EU-Minimum gesenkt und Entlastungsregelungen wie die EEG-Umlageabschaffung und Strompreiskompensation eingeführt​. Und im Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) mindern kostenlose Zuteilungen von CO₂-Zertifikaten die Belastung vorerst.

Doch andererseits verschärfen sich z.B. die Nachhaltigkeitsanforderungen entlang der Lieferkette: Auch Abnehmer von Papierprodukten (etwa im Verpackungssektor) achten vermehrt auf den CO₂-Fußabdruck. Insofern bleibt die Herausforderung der Emissionsreduktion groß.

Doch dass andererseits auch das Potenzial groß ist, zeigen die Anstrengungen der letzten Jahrzehnte. Die deutsche Papierindustrie hat die Emissionen pro Tonne Papier seit 1995 bereits um 45 % reduziert​.

Dies gelang durch Effizienzmaßnahmen und Investitionen in moderne Technologien wie beispielsweise Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und die Nutzung von Reststoffen als Brennstoff​. Gleichzeitig setzt die Branche vorbildlich auf Recycling: Über 83 % Altpapiereinsatzquote (Stand 2023) zeigen, dass die Kreislaufwirtschaft dort fest etabliert ist.

Eine Schlüsselrolle im Energieverbrauch der Papierindustrie spielt die Trocknung des Papiers, die heute noch meist gasbefeuert ist​, was angesichts der Gasknappheit noch einmal besonders problematisch ist. Und auch um bis 2045 klimaneutral zu werden, müssen hier neue Wege gefunden werden – etwa verstärkt Strom (aus erneuerbaren Quellen) anstelle von Gas einzusetzen, sowie alternative Wärmequellen wie Biomasse, Geothermie oder industrielle Abwärme zu nutzen.

Die Branche arbeitet bereits an solchen Lösungen: In konkreten Projekten erproben Unternehmen den Einsatz von grünem Wasserstoff in bestehenden Kraftwerksanlagen und die Integration von Geothermie zur Prozesswärmeversorgung​. Viele eigene Kraftwerke der Papierfabriken sind technisch schon so ausgerüstet, dass sie Wasserstoff-Beimischungen nutzen könnten.

Perspektivisch soll ein Energiemix aus Wind- und Solarstrom, grünen Gasen (z. B. grüner H₂) und nachhaltigen Festbrennstoffen (etwa Faserrückstände) die heutigen fossilen Energieträger komplett ersetzen​. Allerdings hängt der Erfolg dieser Transformation maßgeblich von der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien zu wettbewerbsfähigen Preisen ab​. Daher bleibt die Senkung des Energieverbrauchs vorerst im Fokus der Branche.

Technische Lösungen zur Senkung des Energieverbrauchs

Technologische Innovationen bieten vielfältige Ansätze, um den Energieverbrauch in der Papierindustrie zu reduzieren – von optimierten Anlagenkomponenten bis hin zur vollvernetzten Smart Factory.

  1. Effiziente Antriebe und Anlagenmodernisierung:

Ein großer Teil des Strombedarfs in Papierfabriken entfällt auf elektrische Motoren, die beispielsweise Pumpen oder Lüfter antreiben. Hier lassen sich erhebliche Einsparungen erzielen, indem veraltete Antriebssysteme durch hocheffiziente Technologie ersetzt werden.

Moderne Frequenzumrichter und Motoren mit hohen Effizienzklassen (IE4/IE5) ermöglichen es, die Drehzahl von Pumpen und Lüftern exakt dem Prozessbedarf anzupassen, anstatt konstant auf Volllast zu laufen. So wird keine Energie verschwendet, und der Betrieb wird effizienter​.

Beispiel liefert die Model Group  in der Schweiz. Dort wurde eine große Papiermaschine mit energieeffizienten ABB-Elektromotoren und Frequenzumrichtern modernisiert, was den Stromverbrauch um bis zu 900.000 kWh pro Jahr senkt​. Gleichzeitig stieg die Produktionsgeschwindigkeit um über 12 %, und die Investition amortisiert sich dank Energieeinsparung und Fördermitteln in weniger als fünf Jahren​.

Vorteile der ABB-Elektromotoren für Model Group

kWh
Energie pro Jahr gespart
Prozent
Höhere Produktionsgeschwindigkeit

Dieses Beispiel zeigt, dass Modernisierungsmaßnahmen an bestehenden Anlagen sowohl ökologische Vorteile (CO₂-Reduktion) als auch handfeste ökonomische Einsparungen bringen.

2. Automatisierung, KI und Prozessoptimierung:

Ein weiterer Schlüssel zur Energieeinsparung liegt in intelligent gesteuerten Prozessen. Moderne Leitsysteme und Automatisierungstechnik überwachen und regeln sämtliche Prozessschritte in Echtzeit. Durch den Einsatz von Sensorik und Industrial Internet of Things (IIoT) können Energiedaten an vielen Punkten gesammelt und analysiert werden. Künstliche Intelligenz (KI) hilft, Muster zu erkennen und Prozesse optimal zu fahren, sodass z. B. Schwankungen im Dampf- oder Stromverbrauch minimiert werden.

ABB bietet digitale Lösungen an, mit denen Papierfabriken in Echtzeit ihren Energieverbrauch verfolgen und steuern können. Beim Papierkonzern UPM werden über ein ABB-System 14 Werke in Europa gleichzeitig überwacht, um Effizienzpotenziale zu identifizieren: Verantwortliche sehen auf einen Blick, wie sie sich im Vergleich zu anderen Werken schlagen, und können den Fortschritt der Einsparungen verfolgen – bei Strom, aber auch Dampf, Wasser und Emissionen.

Solch ein Energie-Management-System nach ISO 50001 erlaubt es, für einzelne Bereiche Ziele zu setzen und automatisch Alarme zu erhalten, falls Verbräuche vom Soll abweichen. Diese Transparenz über alle Verbrauchsdaten ist dann die Basis, um gezielt Optimierungen einzuleiten.

Darüber hinaus kommen KI-gestützte Analysen zum Einsatz, um Verbrauch und Produktion besser zu verzahnen. Ein Beispiel ist die vorausschauende Energiebedarfs-Prognose: ABB-Software hilft Unternehmen wie UPM oder Sappi, den Energieverbrauch eines Werks in Abhängigkeit vom Produktionsplan präzise zu modellieren​. So kann im Voraus bestimmt werden, wann zusätzliche Energiequellen zugeschaltet oder interne Verbraucher gedrosselt werden können. Auf diese Weise lassen sich Lastspitzen vermeiden und Energiekosten senken – etwa indem teurer Strombezug zu Spitzenzeiten reduziert wird. Laut Erfahrungswerten solcher Lösungen sparen Betriebe dadurch 2–4 % ihrer Energiekosten ein, bei Amortisationszeiten von wenigen Monaten​.

3. Digitale Zwillinge und Simulation

Ein Blick in die nahe Zukunft zeigt, dass auch digitale Zwillinge enorme Potenziale für die Papierindustrie bieten. Ein digitaler Zwilling ist ein virtuelles Abbild der realen Anlage, das sämtliche relevanten Prozess- und Energiedaten in einem Modell nachbildet. Damit lassen sich Experimente und Optimierungen am „virtuellen“ Papierprozess durchführen, ohne die reale Produktion zu stören.

In Deutschland läuft hierzu eines der ehrgeizigsten Gemeinschaftsprojekte der Branche: die Modellfabrik Papier. Im dort laufenden Forschungsprojekt FOREST entwickelt ein Konsortium unter Beteiligung von ABB und anderen Industrie- und Forschungspartnern ein Rahmenwerk für digitale Zwillinge einer Papierproduktion .

Ziel ist es, die CO2-Fußabdrücke im Gesamtsystem einer Papiermaschine erstmals vollständig digital abzubilden – von der Faserstoffaufbereitung bis zur Aufrollung​. Darauf aufbauende virtuelle Modelle können alle Energie- und Stoffströme erfassen und erlauben den Vergleich des Ist-Zustands mit einem optimalen Soll-Zustand. So können die komplex ineinandergreifenden Verfahrensschritte auf neue Weise analysiert werden, um disruptive Einsparpotenziale aufzudecken​.

Künftige Anlagenfahrer und Ingenieure sollen mithilfe dieser Simulationen in die Lage versetzt werden, die Maschinenfahrweise und Energieversorgung kontinuierlich zu verbessern​. Praktisch könnte ein digitaler Zwilling beispielsweise zeigen, wie sich eine geänderte Siebpartie auf den Trockendampf-Verbrauch und den daraus resultierenden CO2-Fußabdruck auswirkt oder wo Abwärme im Prozess ungenutzt verpufft – Informationen, die dann zur Optimierung der realen Anlage genutzt werden.

Die Kopplung mit KI ermöglicht es zudem, autonom Vorschläge zur Effizienzsteigerung zu machen. In Kombination mit bereits etablierten Systemen (Energie-Monitoring, Advanced Process Control) können derartige digitale Zwillinge helfen, den Energieverbrauch noch einmal deutlich zu reduzieren und dem Ziel der klimaneutralen Papierfabrik näherzukommen.

Schnelle Feuchtemessung mit ABBs IR-Sensor (HPIR-R)

Ein zentrales Kriterium für Energieeffizienz und Produktqualität in Papierfabriken ist die genaue Überwachung des Wassergehalts im Papier während der Herstellung. ABB hat hierfür den High-Performance Infrared Reflectometer HPIR-R entwickelt – einen Infrarot-Feuchtesensor, der extrem schnell arbeitet.

Der HPIR-R erfasst die Oberflächenfeuchtigkeit und -temperatur des Papiers in Sekundenschnelle – und das kontinuierlich im laufenden Prozess. Der Sensor schafft bis zu 5.000 Feuchtigkeitsmessungen pro Sekunde und gibt die Messdaten digital aus​. Papierhersteller können so in Echtzeit erkennen, wie viel Wasser das Papier zu jedem Zeitpunkt enthält, was eine optimale Steuerung der Trocknung ermöglicht. Dadurch lassen sich Energieverbrauch und Trocknungskosten deutlich reduzieren​.

Echtzeitkontrolle in der Papierbahn: Der HPIR-R von ABB erfasst Feuchtigkeit und Temperatur mit bis zu 5.000 Messungen pro Sekunde – für optimale Trocknung und maximale Energieeffizienz.

ABB bietet mit dem HPIR-R die derzeit schnellste Feuchtemessung am Markt an und deckt eine große Bandbreite von Papiersorten ab – vom leichtesten Tissuepapier bis zum Karton, trocken wie nass, alles wird zügig und präzise gemessen​. Zudem ist der Sensor äußerst robust gegen Vibrationen und hohe Temperaturen (bis 125 °C) und in einem luftgekühlten, temperaturgeregelten Gehäuse untergebracht​.

Wartungen sind im Bedarfsfall unkompliziert: Der HPIR-R kann vor Ort repariert werden, meist durch einfaches Austauschen von Teilen. Ein Techniker benötigt dafür nur wenige Minuten und Standardwerkzeug. Dieses Design garantiert eine hohe Verfügbarkeit des Sensors und niedrigere Betriebskosten im Vergleich zu herkömmlichen Lösungen​. Insgesamt hilft der schnelle IR-Sensor von ABB, Gewicht, Feuchteprofile und Energieeinsatz im Papierherstellungsprozess optimal zu regeln.

Die Papierindustrie in Deutschland – und ebenso in Europa und weltweit – steht an einem Wendepunkt. Hoher Energieverbrauch und volatile Preise zwingen die Unternehmen, ihre Prozesse effizienter und resilienter zu gestalten, während gleichzeitig der Druck wächst, klimaneutral zu wirtschaften. Trotz der Größe des Herausforderungspakets stimmt der Blick auf aktuelle Entwicklungen optimistisch: Die Branche hat bereits erhebliche Fortschritte in Richtung Energieeffizienz und Nachhaltigkeit erzielt und scheut sich nicht vor transformativen Schritten.

Technologische Innovation ist dabei der Hebel, der Kosten- und Klimaziele in Einklang bringen kann. Ob Automation, KI-gestützte Prozesse, digitale Zwillinge oder Smart-Factory-Konzepte – die modernen Werkzeuge des digitalen Zeitalters ermöglichen Einsparungen und Optimierungen, die vor wenigen Jahren noch undenkbar schienen. Zugleich sorgen effizientere Motoren, intelligent geregelte Antriebe und alternative Energieträger dafür, dass jeder produzierte Papierbogen mit weniger Primärenergie auskommt. Beispiele aus der Praxis zeigen, dass solche Lösungen nicht nur auf dem Papier existieren, sondern bereits erfolgreich umgesetzt wurden und Messbares leisten – von zweistelligen Prozent-Einsparungen bei Energiekosten bis hin zu ersten klimaneutralen Produktionsabschnitten.