Der Mann mit den vielen Hüten: Interview mit Martin Kullmann über Robotik, KI und die Rolle der Politik

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Deutschland-Chef der Robotics Division von ABB. Leiter des Customer Service bei ABB Robotics Deutschland. VDMA-Vorstandsmitglied Robotik + Automation. Und Vorstand des VDMA-Fachbereichs Robotik. Was nach vier unterschiedlichen Personen klingt, sind in Wahrheit die Rollen von Martin Kullmann. Wir sprachen mit dem Tausendsassa über sein erstes Jahr als Vorstand des VDMA-Bereichs Robotik + Automation und die Herausforderungen der Robotik-Branche. 

Martin, wie schaffst Du es, all die Aufgaben unter einen Hut zu bekommen?

(lacht) Manchmal frage ich mich das selbst. Aber im Ernst: Es funktioniert, weil ich überall von engagierten Menschen umgeben bin, die Verantwortung übernehmen. Ich verstehe mich weniger als „Macher für alles“, sondern als jemand, der Verbindungen schafft – zwischen Unternehmen, zwischen Themen, zwischen Menschen. Und ganz ehrlich: Die Vielfalt motiviert mich. Sie sorgt dafür, dass kein Tag wie der andere ist.

Wenn Du auf Dein erstes Jahr als Vorstand des VDMA-Bereichs Robotik + Automation zurückblicken: Was waren die bestimmenden Themen?

Im VDMA ist es mir seit Jahren ein großes Anliegen, dass Robotik und Automation in der medialen Öffentlichkeit und im politischen Diskurs stärker wahrgenommen werden. Beide Technologien haben in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich dazu beigetragen, dass der Maschinenbau und die Automobilindustrie in Deutschland weltweit führend wurden. Trotzdem stehen Robotik und Automation in der öffentlichen Wahrnehmung oft noch im Schatten anderer Industrien – etwa der Automobilbranche. Genau hier sehen wir im VDMA einen wichtigen Auftrag: Robotik und Automation müssen sichtbarer werden, spielen sie doch eine zentrale Rolle, um den Industriestandort Deutschland ins digitale und vernetzte Zeitalter zu führen. Es geht längst nicht mehr nur um Mechanik, sondern um intelligente, vernetzte Systeme, die Denken, Handeln und Wertschöpfung neu definieren.

Und wie wird der VDMA da konkret aktiv?

Ein wichtiger Teil unserer Arbeit im VDMA ist der enge Austausch mit politischen Entscheidungsträgern. Wir setzen uns dafür ein, dass Themen wie Robotik, Automation, Künstliche Intelligenz und Softwareentwicklung frühzeitig und systematisch im Bildungs- und Ausbildungssystem verankert werden. Denn wenn wir über Wettbewerbsfähigkeit sprechen, beginnt sie nicht erst in den Unternehmen, sondern in den Schulen und den Hochschulen.

Gerade im Bereich der Robotik braucht es nicht nur hochqualifizierte Ingenieurinnen und Ingenieure, sondern auch Fachkräfte mit einem fundierten Verständnis für digitale Prozesse, Programmierung und vernetztes Arbeiten. Deshalb engagieren wir uns in Bildungsinitiativen, fördern Austauschformate zwischen Industrie und Bildungseinrichtungen und bringen unser Know-how in politische Dialoge ein. Unser Ziel ist, dass junge Menschen frühzeitig mit Zukunftstechnologien in Berührung kommen – und Deutschland damit die Basis für Innovation und industrielle Stärke von morgen legt. Doch richtet sich unser Blick auch nach innen, um dem VDMA-Mitgliedern Zugang zu Wissen und Know-how zu ermöglichen.

Was meinst Du damit?

Der VDMA versteht sich als Plattform, die besonders kleinen und mittelständischen Unternehmen den Rücken stärkt. Viele dieser Unternehmen sind technologisch hervorragend aufgestellt, haben aber nicht immer die Ressourcen, um Markttrends frühzeitig zu analysieren oder eigene Forschungsinitiativen zu starten. Genau hier setzen wir an: Wir bündeln Wissen, schaffen Zugang zu aktuellen Marktzahlen, Studien und Technologieanalysen und bringen Unternehmen miteinander ins Gespräch – in Arbeitskreisen, Fachverbänden oder Schulungsformaten. Darüber hinaus unterstützen wir beim Know-how-Aufbau – etwa durch praxisnahe Weiterbildungen zu Themen wie KI, Robotik, Automatisierung oder Softwareintegration. Wir helfen, regulatorische Veränderungen frühzeitig einzuordnen, und vertreten die Interessen der Branche gegenüber Politik und Gesellschaft. So können sich Unternehmen auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und gleichzeitig Innovationen vorantreiben. Am Ende geht es darum, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie langfristig zu sichern – durch Wissenstransfer, Kooperation und eine starke Stimme, die die Bedeutung von Robotik und Automation im industriellen Ökosystem sichtbar macht.

Sprechen wir über die Trends der Robotik: Was sind aus Deiner Sicht derzeit die bestimmenden Themen?

Ganz klar: Wettbewerbsfähigkeit, Energieeffizienz und die Integration digitaler Technologien. Viele Unternehmen beschäftigen sich aktuell mit der Frage, wie sie KI-basierte Anwendungen in ihre Produktionssysteme integrieren können – aber auch, wie sie resilienter gegenüber globalen Störungen werden. Der Fachkräftemangel ist ein weiteres zentrales Thema, das die Branche stark prägt. Robotik kann hier Teil der Lösung sein, indem sie Mitarbeitende entlastet und neue, qualifizierte Tätigkeiten schafft.

Und wie beurteilst Du die aktuelle Lage der deutschen Robotik- und Automatisierungsbranche?

Wir haben eine sehr starke Basis – technologisch gehören deutsche Hersteller weiterhin zur Weltspitze. Allerdings sehen wir, dass sich der internationale Wettbewerb verschärft. Länder wie China, Japan oder die USA investieren massiv in Automatisierung und KI. Das ist einerseits eine Herausforderung, andererseits aber auch ein Ansporn. Wenn wir unsere Innovationskraft mit einer strategischen Industriepolitik verbinden, kann Europa eine führende Rolle behalten.

Zur Person: Martin Kullmann

Ausbildung zum Elektriker, später Fachhochschulreife und Studium der Umwelttechnik. Erste Berufserfahrung sammelte er in einer Werft im Geschäftsfeld Umwelttechnik. Nach dem Verkauf der Werft gründete er gemeinsam mit Kollegen ein eigenes Ingenieurbüro. Es folgte eine Tätigkeit als Projektleiter für Großprojekte bei ALS, bevor er 2008 zu ABB wechselte. Dort war er zunächst in der Robotik tätig, später im Bereich Elektrifizierung, wo er den Mittel- und Niederspannungsschalter-Service zusammenführte. Heute leitet Martin Kullmann das Deutschlandgeschäft von ABB Robotics sowie in Personalunion den Customer Service der Robotics-Division. Ehrenamtlich engagiert er sich im VDMA: seit 2021 als Vorstandsmitglied der Fachabteilung Robotik und seit 2024 zusätzlich im Vorstand des Fachbereichs Robotik + Automation.

Was braucht es Deiner Ansicht nach, damit der Standort Deutschland im internationalen Vergleich weiterhin wettbewerbsfähig bleibt?

Wir brauchen Geschwindigkeit – in der Digitalisierung, bei Genehmigungsverfahren, bei der Einführung neuer Technologien. Innovation darf hierzulande nicht an Bürokratie scheitern. Außerdem müssen wir Bildung und Forschung stärker mit der Industrie verzahnen. Nur wenn junge Menschen früh mit Technologie in Berührung kommen, sichern wir langfristig unseren Nachwuchs. Und schließlich geht es um verlässliche Rahmenbedingungen: Planungssicherheit bei Energiepreisen, Investitionsförderung und Infrastruktur.

Welche Potenziale siehst Du im Bereich Künstlicher Intelligenz für die Robotik – und wo besteht noch Aufholbedarf?

KI hat das Potenzial, die Robotik grundlegend zu verändern. Sie ermöglicht adaptive Systeme, die sich selbst optimieren, flexibel auf ihre Umgebung reagieren und mit dem Menschen intuitiv zusammenarbeiten. Besonders spannend finde ich Entwicklungen im Bereich „explainable AI“, also nachvollziehbare KI-Entscheidungen – ein Schlüssel für Vertrauen in intelligente Systeme. Aufholbedarf sehe ich bei der industriellen Skalierung: Viele KI-Projekte bleiben in der Pilotphase stecken, weil es an Standards, Datenstrukturen oder Fachkräften fehlt.

Lass uns zum Schluss noch über Deine Karriere bei ABB sprechen: Wie war Dein Weg zur ABB?

Mein Weg zu ABB war alles andere als gradlinig – aber genau das hat ihn spannend gemacht. Ich habe ursprünglich eine Ausbildung zum Elektriker gemacht, später die Fachhochschulreife nachgeholt und Umwelttechnik studiert – ein damals neues Fachgebiet, das mich wegen seines interdisziplinären Ansatzes sofort fasziniert hat. Meine ersten beruflichen Schritte habe ich im Geschäftsfeld Umwelttechnik in einer Werft gemacht, bis diese erfolgreich verkauft wurde. Danach habe ich gemeinsam mit Kollegen ein Ingenieurbüro gegründet und konnte dort viele Erfahrungen in Eigenverantwortung sammeln. Später kam dann die Zeit bei ALS, wo ich als Projektleiter für Großprojekte tätig war. 2008 bin ich schließlich zu ABB gewechselt – zunächst in die Robotik, später in die Elektrifizierung. Dort hatte ich die Aufgabe, den Mittel- und Niederspannungsschalter-Service zusammenzuführen. Heute leite ich den Customer Service und verantworte als Local Division Manager das Deutschlandgeschäft von ABB Robotics. Rückblickend hat mich jede dieser Stationen auf ihre Weise geprägt: die handwerkliche Basis, das technische Verständnis, die Freude an Teamarbeit – und die Offenheit, sich immer wieder auf Neues einzulassen.

Letzte Frage: Was rätst Du Berufseinsteigern?

Ich rate jungen Menschen, offen zu bleiben – für Neues, für Umwege, für Chancen, die vielleicht nicht auf den ersten Blick in den eigenen Plan passen. Jede Erfahrung, ob im Handwerk, im Studium oder in der Industrie, bringt etwas mit sich, das später wertvoll wird. Wichtig ist, neugierig zu bleiben und Verantwortung zu übernehmen – auch wenn man sich dabei manchmal auf unbekanntes Terrain begibt. Technik entwickelt sich rasant, und besonders in der Robotik und Automation entstehen ständig neue Möglichkeiten. Wer bereit ist, sich darauf einzulassen, wird nicht nur fachlich wachsen, sondern auch persönlich. Und vielleicht ist das am Ende das Wichtigste: den eigenen Weg aktiv zu gestalten, statt ihm nur zu folgen.