Die 2010er Jahre: Jogi & YuMi – „höggschde“ Präzision, die begeistert

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Teil 5 ist zugleich das Finale unserer Zeitreise „50 Jahre ABB Robotics“, und wir richten den Blick auf die 2010er Jahre bis heute. Also jene Zeit, in der unsere Fußball­national­mannschaft bei der WM 2014 mit einem historischen 7:1 Halbfinalsieg nicht nur den Gastgeber Brasilien entzauberte, sondern sich wenige Tage später gegen Argentinien auch den WM-Pokal sicherte. Die Grundpfeiler des Erfolgs: Perfekte Automatismen, Präzision, Ausdauer, eine unbändige Leistungsbereitschaft und Konzentration. Diese Attribute treffen nicht nur auf Jogis Jungs zu, sondern auch auf unsere zeitgenössischen Roboterinnovationen.

YuMi: Die Geburtsstunde der ABB-Cobots

Seit 2010 hat ABB das Roboterportfolio kontinuierlich erweitert: Zu den Highlights zählten die Einführung von SCARAs, die durch ihre extrem kurzen Zykluszeiten bei zugleich höchster Präzision prädestiniert für die Massenproduktion in der Elektronikbranche sind. Zudem wurde das bestehenden 6-Achs-Roboter-Portfolio kontinuierlich weiterentwickelt und ausgebaut. Und mit der Übernahme der ASTI Mobile Robotics Group im Jahr 2021 erweiterte ABB ihr Lösungsportfolio um sogenannte autonome mobile Roboter – kurz AMR. Seitdem verfügt ABB als einziges Unternehmen über ein vollständiges Automationsportfolio aus AMR, Robotern und Maschinenautomationslösungen – von der Produktion über die Logistik bis hin zum Endverbraucher.

Bis heute prägend ist die Mitte der 2010er Jahre einsetzende Entwicklung einer neuen Roboterkategorie: Kollaborative Roboter (Cobots). Mit ihnen begann ein neues Roboter-Zeitalter. Das Revolutionäre an Cobots liegt in ihrer Fähigkeit, direkt und sicher mit Menschen zusammenzuarbeiten. Im Gegensatz zu herkömmlichen Industrierobotern, die in abgeschirmten Bereichen operieren, um Risiken für menschliche Arbeiter zu vermeiden, sind Cobots speziell darauf ausgelegt, in einer gemeinsamen Arbeitsumgebung mit Menschen zu agieren. Dies wird durch fortschrittliche Sicherheitsfunktionen ermöglicht, wie etwa integrierte Sensoren, die Bewegungen erkennen und bei Bedarf sofort stoppen, sowie durch ein ergonomisches Design, das Verletzungen durch Kollisionen minimiert. ABB erkannte diesen Trend frühzeitig und stellte bereits auf der Hannover Messe 2011 erstmals eine Konzeptstudie vor. Diese wurde kontinuierlich weiterentwickelt und kulminierte 2015 in der Premiere von YuMi. YuMi war wegweisend, da er als weltweit erster kollaborativer Zweiarm-Roboter speziell für die enge Zusammenarbeit mit Menschen entwickelt wurde.

Der Cobot verfügt über ein leichtes, aber robustes Magnesiumskelett, das mit einer schützenden Kunststoffummantelung versehen ist, um die Kräfte bei einem möglichen Zusammenstoß effektiv zu absorbieren. Zudem ist er so konzipiert, dass er keine Quetsch- oder Klemmstellen aufweist, wodurch das Risiko von Verletzungen weiter minimiert wird. YuMi kann bei einer Kollision innerhalb von Millisekunden seine Bewegung stoppen und anschließend mit hoher Präzision an den selben Punkt im Raum zurückkehren, womit er sich besonders für Anwendungen eignet, bei denen Genauigkeit und Sicherheit oberste Priorität haben.

Seit seiner Einführung im Jahr 2015 hat ABB YuMi weiterentwickelt, um den sich wandelnden Anforderungen der Industrie gerecht zu werden und neue Anwendungsfelder zu erschließen. Eine der wichtigsten Weiterentwicklungen ist die Einführung einer einarmigen Version im Jahr 2017. Diese Version bietet eine größere Flexibilität und ist leichter in bestehende Arbeitsprozesse zu integrieren, insbesondere in engen oder räumlich begrenzten Umgebungen. Der einarmige YuMi kann problemlos auf einem Tisch oder an eine Wand montiert werden und lässt sich in verschiedenen Positionen einsetzen, was seine Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Produktionsanforderungen erhöht.

Darüber hinaus wurde YuMi für eine breitere Palette von Anwendungen optimiert – von der Elektronik- und Kleinteilmontage über Verpackung und Qualitätskontrolle bis zu vielen weiteren Aufgaben, bei denen Präzision und Kollaboration entscheidend sind. ABB hat dabei auch an der Integration von YuMi in vernetzte Produktionsumgebungen gearbeitet, was ihn zu einem wichtigen Bestandteil der Industrie 4.0 macht.

Evolution der ABB-Cobots: GoFa und SWIFTI

Neben YuMi hat ABB weitere Cobots entwickelt, die jeweils auf spezifische industrielle Anforderungen zugeschnitten sind. GoFa ist ein Cobot, der für höhere Traglasten bis zu 12 Kilogramm und eine einfache Bedienung entwickelt wurde. Er eignet sich besonders für Aufgaben wie Materialhandhabung, Maschinenbeschickung und leichte Montagearbeiten. GoFa wurde so konzipiert, dass auch Anwender ohne spezielle Roboterkenntnisse ihn leicht programmieren und einsetzen können. Zudem verfügt er über Sicherheitsfunktionen, die bei Berührung sofort reagieren und den Roboter stoppen, um die Sicherheit der menschlichen Mitarbeiter zu gewährleisten.

Ein weiteres Cobot-Familienmitglied ist SWIFTI. SWIFTI zielt auf Anwendungen ab, die hohe Geschwindigkeiten und präzise Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter erfordern. Er kombiniert die Geschwindigkeit und Präzision eines klassischen Industrieroboters mit den Sicherheitsfunktionen eines Cobots. So eignet sich SWIFTI für Aufgaben wie Montage, Materialhandhabung und Verpackung, bei denen eine schnelle und genaue Automatisierung erforderlich ist. Mit einer Tragfähigkeit von bis zu 11 Kilogramm ermöglicht er eine effiziente Durchführung von Produktionsprozessen, die eine hohe Produktivität erfordern.

Integrated Dispensing Function Package

Ein weiterer Meilenstein war die weltweite Einführung des Integrated Dispensing Function Package (IDFP) im Jahr 2014. Das IDFP ist eine innovative Lösung von ABB, die den Prozess des automatisierten Auftragens von Klebstoffen, Dichtmitteln und anderen viskosen Flüssigkeiten in industriellen Anwendungen optimiert. Das Dosiersystem wird dabei direkt in die Robotersteuerung integriert.

Diese Integration ermöglicht, dass Dosiersystem und Roboter synchron arbeiten, was für den präzisen und gleichmäßigen Auftrag von Klebstoffen oder Dichtmitteln entscheidend ist und zu höherer Genauigkeit, Geschwindigkeit und Konsistenz im Produktionsprozess führt.

Wichtige Merkmale des Integrated Dispensing Function Package

1.Integrierte Steuerung:

Das Dosiersystem wird direkt in die Robotersteuerung integriert, wodurch die Notwendigkeit für separate Steuerungen und Schnittstellen entfällt. Dies vereinfacht die Konfiguration und reduziert die Systemkomplexität.

2. Erhöhte Geschwindigkeit und Produktivität:

Durch die optimierte Synchronisation kann der Roboter mit bis zu dreifach höherer Geschwindigkeit arbeiten, was zu kürzeren Produktionszyklen und einer gesteigerten Produktivität führt.

3. Konstante Qualität:

Die enge Abstimmung zwischen Roboter und Dosiersystem gewährleistet eine gleichbleibend hohe Qualität des Auftrageprozesses, unabhängig von der Komplexität der Bauteile oder der Vielfalt der verwendeten Materialien.

Das IFDP ist besonders in Branchen nützlich, in denen Präzision und Effizienz bei der Anwendung von Kleb- und Dichtstoffen entscheidend sind, wie etwa in der Automobilindustrie oder der Elektronikfertigung.

Eine neue Ära der Robotersteuerung

Auf der Automatica 2018 in München stellte ABB erstmals die OmniCore-Plattform vor, eine hochmoderne Steuerungsarchitektur für Roboter. OmniCore wurde entwickelt, um eine Vielzahl von Robotik-Anwendungen zu unterstützen, von einfachen bis hin zu hochkomplexen Aufgaben. Was OmniCore so einzigartig macht, ist seine modulare Struktur, die es Unternehmen ermöglicht, die Steuerung genau auf ihre spezifischen Produktionsanforderungen anzupassen. Diese Flexibilität ist besonders wertvoll in Umgebungen, in denen sich die Anforderungen schnell ändern oder unterschiedliche Roboteranwendungen zum Einsatz kommen.

Darüber hinaus ist OmniCore so konzipiert, dass zukünftige technologische Entwicklungen problemlos integriert werden können. Neue Funktionen und Technologien lassen sich einfach hinzufügen, ohne die gesamte Steuerung zu ersetzen. Dadurch bleibt die Investition in OmniCore langfristig rentabel und passt sich den sich wandelnden Anforderungen an. Diese Kombination aus Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Zukunftssicherheit macht OmniCore zu einer der fortschrittlichsten Steuerungsplattformen auf dem Markt.

Weg vom Coding: Consumerization der Robotik

Ab den 2010er Jahren hat die Art und Weise, wie Roboter programmiert werden, enorme Fortschritte gemacht. Den Grundstein bildet das in den 90er Jahren auf den Markt eingeführte RobotStudio. RobotStudio ist eine grafische Programmierumgebung, die es Anwendern ermöglicht, Roboterprogramme offline zu erstellen, zu testen und zu optimieren. In den Folgejahren wurde RobotStudio stetig weiterentwickelt. Zu den Entwicklungsschritten zählt die Virtual-Controller-Technologie, die es ermöglicht, Roboterprogramme auf einem virtuellen Roboter zu testen, bevor sie in der realen Welt implementiert wurden. Zudem wurde RobotStudio um CAD-Importfunktionen erweitert, was die Zusammenarbeit mit anderen Konstruktionssoftwarelösungen gewährleistete. Ein weiterer wichtiger Meilenstein folgte mit der Einführung der Virtual Reality (VR)-Unterstützung, die Nutzern erlaubte, Roboterzellen in einer immersiven Umgebung zu erleben und zu planen. Die steigende Nachfrage nach kollaborativen Arbeitsumgebungen wurde 2020 durch die Erweiterung der Funktionen zur Unterstützung von kollaborativen Robotern (Cobots) adressiert.

Inzwischen sind auch cloudbasierte Funktionen in RobotStudio integriert. Somit können Roboterzellen über das Internet simuliert und optimiert werden.

Eine weitere bedeutende Innovation ist das Lead-Through-Programming, insbesondere bei Cobots wie YuMi oder GoFa. Diese Methode erlaubt es, den Roboterarm manuell durch die gewünschten Bewegungen zu führen, die der Roboter dann speichert und in eine Bahn umwandelt. Dies hat die Programmierung noch weiter vereinfacht und den Zugang zur Automatisierung für Anwender ohne technische Expertise geöffnet.

Abgerundet wird dieses Angebot durch Wizard Easy Programming. Dabei handelt es sich um eine blockbasierte Programmiermethode, bei der sich der Programmcode im Hintergrund selbst generiert. Mit einer benutzerfreundlichen grafischen Oberfläche und einer Drag-and-Drop-Funktionalität können Anwender Programme erstellen, indem sie Bausteine (z.B. „Greifer öffnen“) kombinieren. Diese Lösung richtet sich insbesondere an Neueinsteiger und nicht-technische Anwender, die schnell und ohne großen Aufwand Roboteraufgaben definieren möchten.

Lange vor dem Hype um ChatGPT hat ABB auch begonnen, künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen in die Steuerungssysteme zu integrieren. Diese Technologien ermöglichen es Robotern, aus ihren Aufgaben zu lernen und ihre Leistung kontinuierlich zu verbessern.

Die Macht der Daten: Digitale Services

Neben der verbesserten Hardware und Softwaren spielen digitale Services eine zunehmend wichtig Rolle. So brachte ABB 2016 mit ABB Connected Services ein digitales Service-Portfolio auf den Markt, das speziell entwickelt wurde, um die Leistung, Verfügbarkeit und Lebensdauer von Robotersystemen zu maximieren. Connected Services sind eine Weiterentwicklung der Remote Services für Roboter, die ABB bereits im Jahr 2007 eingeführt hat. Durch den Einsatz von fünf zentralen Bausteinen – Zustandsüberwachung und Diagnose, Backup-Management, Fernzugriff, Bestandsbeurteilung und Systemoptimierung – ermöglichen diese Dienste eine vorausschauende und proaktive Wartung. Dies transformiert herkömmliche, reaktive Wartungsstrategien in eine intelligente, datengesteuerte Herangehensweise.

Ein entscheidender Vorteil für Kunden ist die signifikante Reduzierung von Störungen um bis zu 25% sowie die Beschleunigung der Reaktionszeit und Systemwiederherstellung um 60%. Darüber hinaus tragen diese Services zur Verlängerung der Lebensdauer der Roboter bei und optimieren deren Leistungsfähigkeit, indem kritische Komponenten gezielt überwacht und gewartet werden. Dies führt zu einer höheren Effizienz und einer besseren Planbarkeit von Wartungsarbeiten, was wiederum ungeplante Ausfallzeiten minimiert und die Gesamtbetriebskosten senkt.

PixelPaint: Neue Wege in der Fahrzeuglackierung

Der gesellschaftliche Trend, die eigene Individualität zu unterstreichen, zog Ende der 2010er Jahre auch in die Automobilindustrie ein. Mit PixelPaint griff ABB diesen Trend auf und bot weltweit erstmals eine Lösung, um den steigenden Anforderungen der Automobilindustrie nach individualisierten Fahrzeuglackierungen gerecht zu werden. Traditionelle Lackiermethoden zum Auftrag von mehrfarbigen Lackierungen erfordern zeitaufwändige Maskierungs- und Demaskierungsprozesse, die nicht nur ressourcenintensiv sind, sondern auch zu erheblichen Lackverlusten führen. Hier kommt PixelPaint, das erstmals auf der SURCAR-Jahreskonferenz 2019 vorgestellt und mit einem “Technology”-Award ausgezeichnet wurde, ins Spiel. Die innovative Technologie basiert auf einem speziell entwickelten Lackapplikator, der eine 100-prozentige Übertragungseffizienz ermöglicht und Overspray vollständig eliminiert. Dies bedeutet, dass der Lack direkt und präzise auf die Karosserie aufgetragen wird, wodurch der gesamte Lack auf die Zieloberfläche gelangt. Mit dieser Technologie können zweifarbige Lackierungen und komplexe Designs in einem einzigen Durchgang aufgetragen werden, ohne dass ein zeitintensives Maskieren notwendig ist. Dies reduziert die Durchlaufzeiten um etwa 50 Prozent und senkt die Betriebskosten erheblich.

Die Einführung von PixelPaint stellte einen wichtigen Schritt in der Weiterentwicklung der Automobillackierung dar, indem sie sowohl Effizienz als auch Nachhaltigkeit in den Vordergrund rückte. Dank dieser Innovation können Automobilhersteller nicht nur den wachsenden Wunsch nach kundenspezifischen Fahrzeugdesigns besser erfüllen, sondern auch ihre Umweltverträglichkeit verbessern und Engpässe in der Produktion vermeiden.

Mit diesem Highlight endet unsere Reise durch fünf Jahrzehnte ABB Robotics. Alle Artikel der Serie findest Du auf unserer übergreifenden Dossier-Seite.

In unseren Artikeln über die vergangenen fünf Jahrzehnte findest Du die ganze Geschichte von ABB Robotics. Von der Entwicklung des ersten modernen Industrieroboters über die Robo-Revolution in der Automobilindustrie bis zu den Lehren, die ABB Robotics aus Bill Gates Erfolg zog.

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