Die 90er Jahre: Robotik lernt von Bill Gates

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Intro

In Teil 3 unserer Serie „50 Jahre ABB Robotics“ durchleuchten wir die 90er Jahre. Eine Dekade des Umbruchs und des Neuanfangs. Politisch startete das Jahrzehnt mit einem Paukenschlag: Deutschland feierte am 3. Oktober 1990 nach 41 Jahren Teilung die Wiedervereinigung. Auch sportlich schrieb Deutschland Geschichte und erspielte im Juli 1990 in Rom den dritten Fußballweltmeistertitel. Aber die 90er Jahre waren auch eine Epoche der großen Fails: Bundeskanzler Helmut Kohl versprach blühende Landschaften. Für Kaiser Franz Beckenbauer war die deutsche Fußballnationalmannschaft auf Jahrzehnte hinaus unschlagbar. Und der Stanford-Professor Francis Fukuyama sah gar das Ende der Geschichte erreicht. Es sollte anders kommen. Doch eines ist gewiss. Die 90er Jahre waren ein spannendes, gar prägendes Jahrzehnt. Denn das World Wide Web und der Ausbau der Mobilfunknetze waren wesentliche Grundlagen für die einsetzende digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft.

Das Internet – mehr als nur eine Phase

Wie bei vielen technologischen Revolutionen war auch beim Internet die Skepsis zunächst groß. Der Erfinder des Ethernets und Gründer des Netzwerkherstellers 3Com, Robert Metcalfe, prognostizierte in einer Kolumne im Jahr 1995 das Ende des Internets mit den Worten:

„I predict the Internet will soon go spectacularly supernova and in 1996 catastrophically collapse."

Hier sollte sich der Visionär täuschen – das Internet war gekommen, um zu bleiben. Bis jedoch Roboter internetfähig wurden, sollte es noch ein paar Jahre dauern. Doch im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts machte auch die Robotik große Entwicklungssprünge.

Robotik in den 90er Jahren – Automobilbranche als Taktgeber

Die Einführung und Weiterentwicklung von Industrierobotern in den 1990er Jahren legte den Grundstein für die moderne, hochautomatisierte Fahrzeugproduktion, die wir heute kennen. Sie halfen der Automobilindustrie, Kosten zu senken, die Produktqualität zu verbessern und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen sicherer zu gestalten. Ein Meilenstein gelang ABB bei Lackierrobotern: So führte ABB das innovative Cartridge Bell System (CBS) zur Lackierung von Fahrzeugteilen ein. Dieses System, das bis heute weltweit in der Automobilherstellung eingesetzt wird, nutzt einfach wechselbare Lackkartuschen, um die Verschwendung von Lack und Lösungsmitteln zu minimieren, wodurch sowohl Kosten als auch Emissionen reduziert werden. Zudem ermöglicht es den Einsatz einer größeren Anzahl von Farben. Die Einführung des CBS war der Auftakt für nachhaltigeres Lackieren, um die Luftbelastung bei Lackierprozessen deutlich zu reduzieren und spiegelt die Philosophie der Industrie wider, den Anteil der vom Menschen durchzuführenden Arbeiten in den belasteten Bereichen zu minimieren und perspektivisch auf einen vollständig robotergestützten Prozess umzusteigen.

Der IRB 6000 – der erste modulare Roboter

Nicht nur in der Automobilindustrie lauten die häufigsten Forderungen der Kunden an die Robotik: Eine höhere Flexibilität und eine verbesserte Anpassungsfähigkeit. Wir haben verstanden. Die Antwort lieferte der 1991 auf den Markt eingeführte IRB 6000 (Traglast:150 kg). Der Schwerlastroboter war hauptsächlich für das Punktschweißen und die Handhabung großer Bauteile vorgesehen. Das revolutionäre am IRB 6000 war sein Aufbau. Dieser basierte auf einem Baukastenprinzip, was ihn zum ersten modularen Industrieroboter der Geschichte macht.

Das modulare Konzept sah vor, den IRB 6000 mit einer Reihe von Fuß-, Arm- und Handgelenkmodulen an alle möglichen Einsatzgebiete anpassen zu können. Und auch wirtschaftlich konnte der IRB 6000 punkten: Dank der schlanken Bauweise kam er mit 60 Prozent weniger Teilen aus als sein Vorgänger, der IRB 90, und war somit deutlich kostengünstiger. Die Flexibilität und der attraktive Preis brachten ABB großvolumige Aufträge von führenden Automobilherstellern und machten den IRB 6000 zum erfolgreichsten Punktschweißroboter von ABB.

Klein, aber oho: die kompakten Universalroboter IRB 1400 und IRB 1500

Beim Boxen würde der IRB 6000 im Schwergewicht antreten. Doch entwickelte sich auch ein Markt für schlanke und kompakte Roboter, die eher dem Fliegengewicht zuzuordnen sind. In den 90er Jahren führte ABB mit dem IRB 1400 und dem IRB 1500 kompakte und zugleich leistungsstarke Industrieroboter in den Markt ein, die sich ideal für Aufgaben wie Lichtbogenschweißen, Materialhandhabung und Montage eigneten. Mit einer Traglast von 5 kg und einer Reichweite von 1440 mm war der IRB 1400 für präzise und schnelle Operationen ausgelegt. Dank seiner kompakten Bauweise benötigte er wenig Platz und bot gleichzeitig eine hohe Leistungsfähigkeit. Darüber hinaus erwies er sich als äußerst zuverlässig und langlebig – und wurde so zu einer beliebten Lösung für viele industrielle Anwendungen.

Schnell, schneller, FlexPicker

Für Fließbandaufgaben in der Massenproduktion, wie sie etwa in der Elektronik- und Lebensmittelindustrie vorkommen, ist nicht die Traglast, sondern die Geschwindigkeit Trumpf. 1998 führte ABB den IRB 340 FlexPicker ein. Dieser Roboter basiert auf dem Konzept des Delta-Roboters, das von Professor Raymond Clavel an der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) in der Schweiz entwickelt wurde. Der IRB 340 FlexPicker erreichte eine Beschleunigung von 10 G sowie 150 Handhabungsvorgänge pro Minute. Damit ist er beim Handling kleiner Teile, wie Elektronikkomponenten oder Pralinen, ebenso schnell und flexibel wie ein menschlicher Fließbandarbeiter. Dies bildete auch den Auftakt der bis heute äußerst erfolgreichen FlexPicker-Serie.

Steuerungen S4, S4C, S4C plus: an Windows angelehnte Programmierung

In der Steuerungstechnologie kam mit der Einführung der S4 im Jahr 1992 die nächste große Veränderung. Diese Entwicklung wird von einigen Experten als ein ähnlich bedeutender Meilenstein wie die Einführung des ersten elektrischen Industrieroboters IRB 6 und der S1 angesehen. In die Entwicklung der S4, die mit mehreren Mikroprozessoren ausgestattet ist, flossen insgesamt mehr als 150 Mannjahre an Arbeitszeit. Die S4 war in der Lage, sechs externe Achsen, alle Schweißparameter sowie die sechs Achsen des Roboters zu steuern. Sie brachte bedeutende Verbesserungen in zwei für den Benutzer besonders wichtigen Bereichen: der Mensch-Maschine-Schnittstelle und der technischen Performance des Roboters.

Eine der Hauptverbesserungen der Mensch-Maschine-Schnittstelle wurde durch das Teach Pendant erreicht, das eine an Windows angelehnte Umgebung mit Dropdown-Menüs und Dialogfeldern bot. Dies vereinfachte die Einrichtung und Bedienung des Roboters erheblich. Gleichzeitig erleichterte die neue, offene Programmiersprache RAPID die Programmierung. RAPID bietet mehrere Ebenen und die Möglichkeit, eigene Funktionen zu entwickeln oder flexibel an kundenspezifische Bedürfnisse anzupassen.

Ein letztes Highlight der 90er Jahre war, dass der erste elektrische Industrieroboter, der seit 1974 bei Magnusson, einem schwedischen Hersteller von Edelstahlrohren, im Einsatz war, seine 100.000 Betriebsstunde feierte. Und es sollten noch zahlreiche weitere folgen.

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