„Robotik wird wesentliche Probleme des 21. Jahrhunderts lösen“

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Wenn das Attribut Powerfrau auf jemanden zutrifft, dann auf Marina Bill: Sie zeichnet auf globaler Ebene für die gesamten Marketing- und Sales-Aktivitäten des Geschäftsbereichs Robotik & Fertigungsautomation verantwortlich. Zudem ist sie Präsidentin der ADRA, deren Ziel es ist, Künstliche Intelligenz, Datennutzung und Robotik auf Basis europäischer Grundrechte, Grundsätze und Werte zu entwickeln. Und seit Juni 2022 sitzt sie als Präsidentin an der Spitze des renommierten Robotikverbands IFR, kurz für International Federation of Robotics. Hierüber informiert sie zu Branchendaten und weltweite Statistiken in Sachen Industrierobotik. Gleichzeitig vertritt sie ehrenamtlich die Interessen der nationalen Roboterverbände, Forschungseinrichtungen sowie Roboterhersteller aus mehr als zwanzig Ländern. Doch damit nicht genug: Privat hält sie ihre Familie auf Trab. Wir haben mit der Diplomingenieurin für Thermodynamik über ihre Aufgabenspektrum sowie über Trends und Herausforderungen der Roboterindustrie gesprochen.

Frau Bill, Sie haben mit Ihrer globalen Rolle als Leiterin des weltweiten Vertriebs und Marketings bei ABB Robotics, mehreren Aufsichtsratsposten und Ihren Rollen als Präsidentin der ADRA und des IFR viele Hüte auf. Hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden? Oder haben Sie eine Doppelgängerin?

Bei mir laufen in der Tat einige Fäden zusammen, doch helfen umfassende Aufgabenbereiche, sich zu fokussieren. Und man darf die Aufgaben nicht getrennt sehen – es gibt zahlreiche Schnittmengen und Synergien. Eine meiner Stärken ist sicherlich, effiziente Strukturen sowie diverse, ambitionierte und motivierte Teams aufzubauen und zu führen. Von Mikromanagement halte ich nicht viel. Mit guten, selbständig arbeitenden Mitarbeitenden gelingt es, auch mehrere Bälle in der Luft zu halten. Mein Credo: Wer Dinge verändern will, darf nicht nur reden, sondern muss sich engagieren und einbringen. Außerdem bereiten mir die vielen unterschiedlichen Aufgaben sehr viel Freude. In mein Engagement in den Verbänden bringe ich meine Industrie- und Automatisierungsexpertise ein, die ich in über 25 Jahren gesammelt habe. Ich habe das Privileg, bei ABB in einem äußerst ambitionierten Eco-System zu arbeiten. Mein berufliches und ehrenamtliches Engagement ist eng miteinander verwoben und die daraus resultierenden Aufgaben befruchten sich gegenseitig.

Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit als Präsidentin des IFR vorgenommen?

Ein Schwerpunkt meiner Arbeit wird sicherlich darauf liegen, über die Chancen der Automatisierung aufzuklären und letztlich dabei zu helfen, die Welt ein Stück mehr zu automatisieren. Es gibt noch zahlreiche Länder und Branchen, die die Potenziale der industriellen Robotik gerade erst für sich erschließen. Dabei ist der Einstieg in die Robotik und Automatisierung einfacher, als viele denken. Wir möchten die Unternehmen bei ihrer Automatisierungsreise bestmöglich unterstützen. Gerade bei den KMUs sehe ich enorme Möglichkeiten, durch Automatisierung die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Sicherlich gilt es an der einen oder anderen Stelle auch Vorurteile zu entkräften, mit denen die industrielle Robotik und Automatisierung konfrontiert wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass Robotik dazu beitragen kann, gesellschaftliche Herausforderungen wie den demographischen Wandel oder eine nachhaltige, verantwortungsvolle Produktion, zu meistern. Robotik ist eine Lösung für den Fachkräftemangel und ersetzt monotone, teilweise kraftzehrende Tätigkeiten. Persönlich liegt mir zudem das Thema Diversität sehr am Herzen. Robotik ist ein faszinierender Bereich, der für alle zugänglich ist und in dem wir Maßstäbe in Bezug auf Vielfalt und Gleichstellung setzen können. Auf diesem Terrain möchte ich auch einige Akzente setzen. 

Über die IFR und die ADRA

Die International Federation of Robotics sieht sich als Sprachrohr der weltweiten Robotikindustrie. Die 1987 als nicht gewinnorientierte Organisation gegründete IFR vertritt nationale Roboterverbände, Forschungseinrichtungen sowie Roboterhersteller aus mehr als zwanzig Ländern. Mehr unter: https://ifr.org/ 

ADRA: Die Europäische Partnerschaft für KI, Daten und Robotik hat mit der Europäischen Kommission eine 2,6-Milliarden-Euro-Partnerschaft ins Leben gerufen, um bei der Erforschung, Entwicklung und dem Einsatz wertorientierter, vertrauenswürdiger KI, Daten und Robotik auf der Grundlage europäischer Grundrechte, Grundsätze und Werte weltweit führend zu sein. Mehr unter: https://adr-association.eu/ 

Welche Trends und Herausforderungen sehen Sie für die Roboterindustrie?

Wir sind derzeit in einer spannenden Transformationsphase: Roboter kommen in immer mehr Ländern und Branchen zum Einsatz und werden zunehmend vernetzt. Zudem lösen neue, datenbasierte Geschäftsmodelle das klassische funktionale Geschäftsmodell ab. Das hat die Branche erkannt: Roboterunternehmen sind schon lange keine reinen Hardwareunternehmen, sondern haben enorme Softwarekompetenzen aufgebaut. Dieser Trend wird durch die Potenziale, die sich durch künstliche Intelligenz, datenbasierte Dienstleistungen und eine digitalisierte Customer Journey ergeben, weiter verstärkt. Zudem sehe ich eine Art Demokratisierung. Damit meine ich, dass der Einsatz und die Steuerung von Industrierobotern durch neue, intuitive Bedienungsoberflächen deutlich einfacher werden. Durch Low-Code- oder No-Code-Ansätze entfällt die komplizierte Programmierung, so dass auch Anwender ohne IT-Kenntnisse Roboteranwendungen konfigurieren und anpassen können. Dies ist besonders für kleine und mittelständische Betriebe relevant und interessant, da diese in der Regel keine oder nur begrenzte IT-Ressourcen haben. Daraus ergibt sich ein letzter Trend, den ich anführen möchte: Roboter sind in einigen Industrien wie der Automobilbranche seit Jahrzehnten Usus. Doch werden Branchen wie der Onlinehandel, Logistik oder Pharma verstärkt auf Robotik setzen und ihre Geschäftsabläufe automatisieren. Und ich bin überzeugt, dass weitere Branchen, die wir aktuell noch gar nicht im Blick haben, folgen werden. Das ist das Spannende an dieser Aufgabe. 

Wie schaffen Sie es trotz der vielen Verpflichtungen, zu entspannen und eine ausgeglichene Work-Life-Balance aufrecht zu erhalten?

Ich kann sehr gut abschalten – wenn ich bei meiner Familie bin, schalte ich auf Privatleben um und lasse das Berufliche außen vor. Diese Fähigkeit habe ich mir in den letzten Jahren erarbeitet. Zudem spielt Sport eine wichtige Rolle in meinem Leben. Ich habe feste Zeiten in meinem Kalender geblockt und diese sind mir heilig. Doch nicht nur Sport und Bewegung sind ein wichtiger Kontrapunkt zu der teilweise doch sehr abstrakten Kopfarbeit. Mir ist es wichtig, in der Freizeit etwas mit den Händen zu machen, sei es mit LEGO-Steinen zu bauen oder zu backen.  

Zur Person

Marina Bill ist Leiterin Global Marketing & Sales des ABB-Geschäftsbereichs Robotik & Fertigungsautomation, der rund 11.000 Mitarbeitende an über 100 Standorten in 53 Ländern beschäftigt. Sie verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in einer Reihe von Management-, Vertriebs- und Marketingpositionen. Marina Bill hat die schwedische und schweizerische Staatsbürgerschaft und schloss ihr Studium an der Königlich-Technischen-Hochschule von Stockholm mit einem Diplom in Thermodynamik ab.