Vier Jahrzehnte ABB: Ein Leben für die Robotik

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Wir schreiben das Jahr 1987: Twix hieß noch Raider. LG Electronics hieß noch Goldstar. Und ABB hieß noch Asea. In diesem Jahr startete Thomas Schweren seine Karriere bei der heutigen ABB. Er prägte in verschiedenen Positionen die Entwicklung und Kultur bei ABB Robotics. Unser Redaktionsteam sprach also mit einem echten Urgestein. Erfahren Sie, warum sein Einstieg in die Branche eher ein Zufall war, wie sich ABB in den letzten vier Jahrzehnten verändert hat und was er über die Generation Z denkt.

Herr Schweren, Sie sind fast vier Jahrzehnte bei ABB Robotics. Fangen wir vorne an: Wie sah Ihr Einstieg in die Branche aus?

Ehrlich gesagt bin ich in meinen Job reingerutscht. Ich habe zunächst mein Fachabitur in Elektrotechnik gemacht und mich auf Lehrstellen beworben, unter anderem bei der Deutschen Post im Fernmeldebereich. Die Bewerbung habe ich mit 99 von 100 Punkten bestanden. Man sagte mir, dass mir ein Lehrvertrag zugeschickt werde. Doch dann kam eine unerwartete Wende: Am Freitag habe ich ein Einschreiben mit der Einberufung zum Wehrdienst erhalten. Der Lehrvertrag kam erst am Samstag per Post an. Einen Tag zu spät. Ich konnte die Lehre nicht beginnen und bin zur Bundeswehr gegangen. Dort habe ich mich für drei Jahre im Fernmeldewesen verpflichtet. Das hat fachlich hervorragend zu meinen Plänen gepasst. Nach den drei Jahren war ich mir unsicher, ob ich mit fast 23 noch eine Lehre anfangen möchte. Ich habe mich schließlich gegen eine Lehre und für ein Studium in Friedberg an der Fachhochschule entschieden. Dort habe mich bei den Wahlfächern auf das noch neue Thema Informatik spezialisiert und meinen Ingenieur gemacht.

Und wie ging es nach dem Studium weiter?

Jeden Morgen auf dem Weg zur Hochschule bin ich an einem Unternehmen namens Asea vorbeigefahren. Und als es Richtung Studienende ging und ich mich mit dem Thema Berufseinstieg befassen musste, war eine Bewerbung bei Asea naheliegend. Ich habe mich bei insgesamt acht Unternehmen initiativ beworben, doch schließlich das Angebot von Asea angenommen und im Herbst 1987 als Softwareentwickler angefangen. Das war eine spannende Zeit. Mein Kollege und ich haben quasi einen vorgelagerten Entwicklungsposten für die Kollegen aus Schweden ausgefüllt. Wir waren weltweit die einzigen, die außerhalb von Schweden entwickelt haben. Unsere Aufgabe bestand darin, Robotersoftware und Spezialsoftware im Auftrag von Schweden zu entwickeln.

Damals gab es ja noch keine Cloudlösungen oder schnelle Netze. Wie haben Sie mit den schwedischen Teams zusammengearbeitet?

Das klingt aus heutiger Sicht wie Steinzeit. Denn bis in die 90er haben wir auf Papier entwickelt und sind dann gegen Projektende nach Schweden für zwei bis drei Wochen ins Headquarter geflogen, um den Code am Rechner zu programmieren. Ab Anfang der 90er konnten wir dann direkt in Deutschland Software programmieren. Wir haben einige schöne Projekte umgesetzt und später die Verantwortung für eine Steuerungsgeneration übernommen, die von Schweden nicht mehr unterstützt wurde. Das war die S3. Ein einmaliges Erlebnis war die Einführung der Bussysteme, In diesem Kontext war ich in den 90er Jahren mit meiner Familie für 3 1/2 Monate in Schweden und habe dort an der Entwicklung der Bussysteme mitgearbeitet. Bis 2000 war ich Softwareentwickler.

Neues Jahrtausend, neues Glück. Wie ging es ab den Nuller-Jahren weiter?

Ich wollte mal was Neues erleben und bin im Jahr 2000 in den Service-Bereich gewechselt. Hier war meine Aufgabe, die Erneuerung von Robotern zu optimieren. Ich habe ein Fernwartungsprogramm für unsere Roboter geschrieben, das binnen weniger Jahre mit 1.000 Lizenzen im Einsatz war. 2004 bin ich dann in meine alte Stelle zurück und habe mit der Einführung netzwerkbasierter Kommunikation mit den Robotern begonnen. Dort habe ich bis 2022 gearbeitet.

Und wie sieht Ihre aktuelle Position aus?

Vor zwei Jahren habe ich mich einer neuen Herausforderung jenseits der Bits und Bytes gestellt. Ich habe mich als Betriebsratsvorsitzender zur Wahl gestellt und wurde auch gewählt. Auf diesen Schritt war ich ganz gut vorbereitet, denn seit 2010 bin ich im Betriebsrat und ab 2013 war ich Stellvertreter. Auch privat engagierte und engagiere ich mich. Ich war immer im Elternbeirat meiner drei Kinder, Kirchenvorstandsmitglied und im Abteilungsvorstand beim Tennisverein. Meine soziale Ader zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. In zwei Jahren gehe ich in Rente, doch werde ich meine Arbeit vermissen. Ich bin nicht umsonst seit 38 Jahren bei ABB. Das Arbeiten war immer angenehm. Wir hatten hier schon vor 30 Jahren Freiheiten, die bei anderen Unternehmen nicht gängig waren. Man kann es bei ABB recht gut aushalten.

Das waren aufregende Jahrzehnte. Wenn Sie so zurückblicken, was hat sich in dieser Zeit verändert?

Ein erstes prägendes Ereignis war der Übergang in die neu firmierte ABB. In diesem Zuge wurde die Asea Roboter GmbH 1988 in ABB Roboter GmbH umbenannt. Der damalige Konzernvorsitzende Percy Barnevik hat im zweiten Anlauf die Fusion durchgeführt, die am 1.1.1989 rechtsgültig wurde. Gemerkt haben wir davon nur, dass wir am 1.1.1989 das Asea-Papier eingestampft und von da an auf ABB-Papier gedruckt haben. Sprich, die Fusion zwischen der schweizerischen Brown, Boveri & Cie – kurz BBC – und der schwedischen Asea verlief mit sehr viel Fingerspitzengefühl. Wir haben weiterhin selbständig gearbeitet – so wie vor der Fusion. Doch manche Themen ziehen sich durch, etwa die Angst, dass Technologie Jobs vernichtet. Bereits in den 80er Jahren gab es Ressentiments, dass in Betrieben, in denen Roboter eingesetzt werden, weniger Menschen gebraucht werden. Sicherlich fallen manche Jobs weg, doch neue entstehen. So brauchte und braucht man immer ein Team, das sich um die Steuerung der Roboter kümmert. Das ist keine Vernichtung von Arbeitsplätzen, sondern eine Verschiebung. Die Roboter haben die Arbeitswelt verändert, aber nicht verkleinert. Es gibt nicht mehr die vielen einfachen Jobs.

Was sind aus Ihrer Sicht die Highlights Ihrer Karriere, auf die Sie stolz sind?

Die ersten 10–15 Jahre waren Pionierarbeit. Ein Beispiel ist die Entwicklung einer Software für das robotergestützte Kleben. Wir haben spezielle Befehle entwickelt, um bei Erreichen der Position die Signale rechtzeitig zu setzen, sodass an der Position das passiert, was passieren soll. Das Projekt lief ein Jahr. Ich habe die Befehle entwickelt. Und ich bin stolz darauf, denn das Programm läuft heute noch in modifizierter Form. Wir nennen das jetzt Integrated Dispensing Function Package. Ein weiteres Highlight war die Anpassung unserer Software an eine andere Hardware für einen Automobilisten. Dieser hatte Portalroboter und wollten unsere Steuerung daran anbinden. Das Projekt lief einige Monate. Am Ende kam der Spruch: “Das ist endlich mal gut zu bedienen.” Das Feedback war großartig.

Letzte Frage: Welche Ratschläge würden Sie Berufseinsteigern geben?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Berufseinsteiger immer alles gleich richtig machen und viel erreichen wollen. Ich sage dann immer, mach mal ein bisschen langsamer und trete einen Schritt zurück, der Rest kommt meistens von ganz allein. In den Medien wird oft über die Faulheit der Gen Z berichtet, aber das nehme ich nicht wahr. Vorurteile gab es auch von den Älteren, als ich einstieg. Ich erlebe die jungen Leute als engagiert, wissbegierig und hoch motiviert.

In unseren Artikeln über die vergangenen fünf Jahrzehnte findest Du die ganze Geschichte von ABB Robotics. Von der Entwicklung des ersten modernen Industrieroboters über die Robo-Revolution in der Automobilindustrie bis zu den Lehren, die ABB Robotics aus Bill Gates Erfolg zog.

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