Ein Motorenportfolio, das alle Anwendungen abdeckt

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„One size fits all“? Für Industrieanwendungen ist dieser Ansatz undenkbar. Denn jede Anwendung ist einzigartig, und viele benötigen deshalb speziell angepasste Antriebstechnik. Wie ABB alle Anforderungen erfüllt und dabei gleichzeitig die Energieeffizienz im Blick behält, erklärt Ralf Peschel, Product Marketing Manager IEC LV Motors bei ABB Motion.

Herr Peschel, welche Antriebstechnologie ist die effizienteste für Industriemotoren?

Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Die Anwendungen und Bedürfnisse an Industriemotoren sind extrem unterschiedlich, deshalb hängt es in jedem Einsatz stark von den Erfordernissen der Applikation ab, welche Motortechnologie die beste ist.

In anderen Anwendungen scheint die Antwort klar: Bei Elektroautos heißt es zum Beispiel, der Permanentmagnetmotor sei unschlagbar.

Das stimmt zumindest zum Teil. Permanentmagnetmotoren haben sehr hohe Wirkungsgrade, deshalb sind sie bei den Herstellern von Elektrofahrzeugen beliebt – kostenbedingt vor allem für höherpreisige Modelle. Aber bei Motoren, die in Pkw verbaut werden, sind die Anforderungen auch viel einfacher und letztlich immer gleich. Mit Anwendungen in der Industrie kann man diese Applikation nicht vergleichen. Hier sind oft vollkommen verschiedene Fähigkeiten gefragt.

Man kann das mit Schlagbohrern und Akkuschraubern illustrieren. Das Grundprinzip der Geräte ist vollkommen identisch. Selbst äußerlich ähneln sie sich. Aber es macht einen Riesenunterschied, ob Sie eine kleine Schraube exakt und schonend in einem Holzbalken versenken wollen oder ein Loch in eine Stahlbetonwand bohren müssen. Für die Motoren der Werkzeuge ergeben sich aus solchen Anwendungen völlig unterschiedliche Anforderungen. Und bei Industrieapplikationen sind die Einsatzgebiete nun mal noch viel größer.

Der auf der SPS 2024 ausgestellte Motor für die Prozessindustrie zog viele Besucher an. Diese Motoren müssen auch unter rauen Bedingungen zuverlässig laufen und kommen beispielsweise im Bergbau, der Zement- oder Papierherstellung zum Einsatz.

Trotzdem gibt es Hersteller von Industriemotoren, die auf ein einziges Bauprinzip schwören. ABB hat dagegen viele verschiedene Motorenarten im Portfolio. Wieso?

In der Tat haben wir ein sehr breites Produkt- und Technologieportfolio – nicht nur bei Motoren. Wir wollen für alle Applikationen unserer Kunden immer die effizienteste Technologie anbieten. Dafür braucht es Technologieoffenheit. Außerdem hat jeder Kunde gewisse Präferenzen. Manche wollen partout keinen Synchronreluktanzmotor, andere keine Permanentmagnetmotoren. Mit unserem Angebot können wir auf diese Anforderungen eingehen.

Welche Argumente sprechen denn zum Beispiel gegen permanenterregte Motoren?

Langfristig könnte die Verfügbarkeit von Seltenen Erden ein Grund gegen Motoren sein, die auf starke Magnete angewiesen sind. Unser SynRM kommt ohne diese Magnete aus. Es gibt aber auch Betreiber, die einfach bei der Technologie bleiben möchten, die sie am besten kennen – und das ist fast immer der Asynchronmotor. Er ist seit Jahrzehnten in der Industrie etabliert, auch das kann ein Grund sein.

Für Permanentmagnetmotoren spricht dagegen unter anderem, dass sie kleiner sind und bei einem Retrofit entsprechend Platz sparen – auch durch ihren niedrigeren Blindstromanteil, was teilweise kleinere Umrichter erlaubt. Je nach Anwendung kann das den Ausschlag zur Entscheidung geben.

Die Ausrüstung mit passgenauen Motoren kann die Gesamteffizienz von Anwendungen in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie verbessern.

Angesichts der Preise für Industriestrom könnte man doch eigentlich meinen, für die meisten Betreiber wäre nicht die Technologie entscheidend, sondern der Wirkungsgrad.

Natürlich gibt es kaum Betreiber, für die Effizienz und Wirkungsgrad gar keine Rolle spielen. Aber teilweise wird der Anschaffungspreis leider nach wie vor zu hoch gegenüber den Betriebskosten gewichtet. Langfristig zahlt man dann als Betreiber drauf.

Dennoch geht die Entwicklung der Effizienzklassen weiter. Sobald die Regularien der netzbetriebenen Motoren für IE5 verabschiedet sind, werden IE5-Asynchronmotoren von ABB kommen. Im Durchschnitt werden diese Modelle eine wiederum um 20 Prozent reduzierte Verlustleistung bieten. Über die verschiedenen Leistungen hinweg schwanken die Verbesserungen inzwischen jedoch. Wir werden in Zukunft vielleicht auch noch Motoren mit den Effizienzklassen IE6 oder IE7 sehen. Aber irgendwann muss man in andere Richtungen denken, weil das verbleibende Potenzial für Verbesserungen immer kleiner wird und jede Optimierung noch höhere Materialeinsätze nötig macht.

In welche Richtung sollte man Ihrer Meinung nach denken?

Ganz klar in Richtung „Paketwirkungsgrad“, also Gesamtsystemeffizienz. Die technologisch mögliche Effizienz des Motors im Einzelnen ist heute ohnehin schon so hoch, dass es umso mehr Sinn ergibt, sich mit dem Drumherum zu beschäftigen und die Systemeffizienz in den Blick nehmen.

Und hier kommen wir wieder zum großen Portfolio von ABB zurück: Um die Effizienz einer gesamten Anlage gezielt zu erhöhen, muss man für jede Anwendung die passende Technologie bieten und das nötige Know-how haben. Beispielhaft gesagt kann es je nach Applikation etwa Sinn ergeben, den IE2-Motor zu behalten und ihn mit einem Frequenzumrichter auszustatten. Das kann unter Umständen mehr Energie einsparen als den alten Motor durch ein IE4-Modell zu ersetzen.

Ralf Peschel, Product Marketing Manager IEC LV Motors bei ABB Motion

Was passiert, wenn ein Kunde Antriebstechnik für eine Anwendung braucht, die ABB nicht im Angebot hat?

Dann kommt unser Portfolio an kundenspezifischen Motoren ins Spiel, das sich nicht im Produktkatalog abbilden lässt. Das kann man sich vorstellen wie ein Lego-System, bei denen wir die verschiedenen Technologien miteinander verbinden. Denn alle Elemente des Baukastens, aus denen unsere Kataloglösungen bestehen, lassen sich auch anders kombinieren.

Können Sie ein Beispiel geben?

Wenn es die Anwendung erfordert, können wir zum Beispiel einen Induktionsmotor mit besonders hoher Leistungsdichte unserer HDP-Baureihe mit einem Rotor aus dem SynRM-Portfolio kombinieren – gegebenenfalls sogar magnetisiert. Das meine ich, wenn ich sage: ABB verkauft nicht die eine Technologie, die wir im Katalog haben, sondern betrachtet immer spezifisch den Anwendungsfall und findet im breiten Technologieportfolio die beste Lösung für die Anwendung des Kunden.

Ist das nicht ein enormer Aufwand für eine einzige Bestellung?

So eine Baukastenkonfiguration kostet etwas mehr Zeit, aber sie lohnt sich, wenn dadurch alle Anforderungen erfüllt und die Effizienz erhöht werden. Manchmal zeigt sich auch, dass hinter den Bedürfnissen des Kunden ein branchenweiter Bedarf steckt, der zuvor noch nicht erkannt wurde. Dann wird aus dem individuell erstellten Motor ein Katalogprodukt – weil wir erkennen, was der Markt benötigt. Und das liefern wir ihm dann auch.