Elektrifi­zierung und Energie­effizienz: „De­karbo­nisierung in Rein­kultur“

Frank Simon, Leiter Nachhaltigkeit bei ABB Motion, im Interview auf der SPS 2023 in Nürnberg.
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Um die Klimaziele zu erreichen, muss die Welt sich von fossilen Rohstoffen verabschieden. Dafür ist ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien nötig. Entscheidend ist aber auch, wie diese eingesetzt werden. Der Schlüssel zu schnellen Fortschritten auf dem Weg zur Klimaneutralität ist Energieeffizienz. Im Interview erklärt Frank Simon, Leiter Energieeffizienz bei ABB Motion Deutschland, welche Angebote ABB für Kunden hat, die die Nachhaltigkeit ihres Betriebs erhöhen wollen – und was das Unternehmen tut, um die eigenen Aktivitäten nachhaltig und zirkulär zu gestalten. 

Herr Simon, Energieeffizienz wurde lange Zeit vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet. Inzwischen wird der effiziente Umgang mit elektrischer Energie aber immer öfter auch als ein Aspekt von Nachhaltigkeit betrachtet. Was steckt hinter dieser Entwicklung?

Die einfache Antwort lautet: Weil wir es nicht schaffen, die erneuerbaren Energien so schnell auszubauen, wie es nötig wäre, um bis 2050 das Ziel „Netto-Null“ zu erreichen. Dieses Ziel gilt weiterhin und es wird immer wieder bekräftigt, zuletzt etwa auf der UN-Klimakonferenz in Dubai. Gleichzeitig wächst aber die Weltbevölkerung und zudem der globale Wohlstand – was ja auch wünschenswert ist. Da dadurch auch der Energiebedarf weiter ansteigen wird, müssen wir beide Seiten betrachten: wie Energie erzeugt wird und wie sie verbraucht wird. Entsprechend wird die Energieeffizienz von der Internationalen Energieagentur (IEA) heute als wichtigster Hebel bei der Erreichung der Klimaziele betrachtet. 

Wird das Argument „Kosten sparen durch Verbrauchssenkung“ dadurch verdrängt? 

Ganz und gar nicht. Kosten sind immer ein Argument für den effizienten Einsatz von Energie. Man sollte sie nur nicht isoliert betrachten. Die jüngste Senkung der Stromsteuer in Deutschland ist ein gutes Beispiel: Natürlich spart auch diese Maßnahme der Industrie Kosten. Doch Steuerpolitik kann sich jederzeit ändern. Auch deshalb ergibt es betriebswirtschaftlich Sinn, bei der Effizienz anzusetzen – und damit beim Verbrauch. 

Welche Angebote hat ABB für Betreiber in der Industrie und im Gebäudesektor, die ihre Energieeffizienz verbessern wollen? 

Global werden 45 Prozent der elektrischen Energie von Elektromotoren verbraucht. Unser erster Ansatz ist daher: Elektromotoren sollten immer die höchstmöglichen Wirkungsgrade erzielen, um Verschwendung zu reduzieren. Zweitens hilft der Einsatz von Frequenzumrichtern, um Elektromotoren bedarfsgerecht einzusetzen. Auch hier wird immer noch zu viel Energie verbraucht, indem überdimensionierte Motoren kontinuierlich mit voller Leistung gefahren werden, obwohl der Prozess diese überhaupt nicht benötigt. Umrichter helfen, Motoren bedarfsgerecht einzusetzen, wodurch sich ein zusätzliches Einsparpotenzial ergibt. 

Betriebswirtschaftlich betrachtet müssen auch ökologisch sinnvolle Investitionen aber genau auf ihren ökonomischen Nutzen hin untersucht werden … 

… Weshalb wir Betreiber detailliert beraten. Unser Energiesparrechner stellt dem Ist-Zustand sehr genau die Potenziale gegenüber, die sich aus Modernisierungsmaßnahmen ergeben, inklusive einer Berechnung des Return on Investment. Das schafft Transparenz und Vergleichbarkeit und gibt dem Betreiber die Möglichkeit, betriebswirtschaftlich alle Optionen zu bewerten. 

Welche Dimensionen werden dabei einbezogen? 

Technisch betrachtet geht es natürlich erst einmal um Kilowattstunden. Wir liefern aber auch Aussagen über Euro und CO2-Emissionen. Schließlich sind sich immer mehr Unternehmen bewusst, dass auch CO2-Ausstoß Geld kostet. 

Elektrisches Heizen: Industrielle Verfahren benötigen oft erhebliche Wärmemengen. Die dafür eingesetzte Energie ist kostspielig, besonders wenn sie aus fossilen Quellen stammt. Daher wechseln viele Unternehmen zu elektrischer Energie.

Aktuell ist im Kontext von Nachhaltigkeit immer öfter von der Elektrifizierung von Prozessen die Rede. Bedeutet diese Maßnahme im Gegensatz zu den angesprochenen Modernisierungsmaßnahmen nicht sogar, dass mehr elektrische Energie verbraucht wird?

Das ist richtig. Aber wenn elektrische Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird, steht Elektrifizierung für Dekarbonisierung. Ein typisches Beispiel ist das elektrische Heizen: Statt fossile Rohstoffe wie Öl und Gas zu verbrennen, werden industrielle Prozesse elektrisch beheizt. Dieser 1:1-Ersatz ist Dekarbonisierung in Reinkultur. Auch dafür bietet ABB die nötigen Mittel: Unsere Thyristor-Leistungssteller dienen der präzisen Wärmeregelung und meistern die Herausforderungen der Dekarbonisierung bei industriellen Heizanwendungen. 

„Ob Schiffe, Seilbahnen oder Muldenkipper – wir finden für fast alle Bereiche des Mobilitätssektors Lösungen zur Elektrifizierung und öffnen damit die Tür zur Dekarbonisierung.“

Frank Simon, Leiter Energieeffizienz bei ABB Motion Deutschland

Sind elektrische Systeme in der Lage, die hohen Temperaturen zu erreichen, die in Branchen wie Metallverarbeitung, chemischer Industrie oder Glasherstellung nötig sind?

Ja, und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. Es gibt bereits zahlreiche Projekte zur Dekarbonisierung in der Industrie, auch in der Stahlherstellung. Dort wird übrigens schon seit Jahrzehnten mit elektrischer Energie produziert, nämlich beim Stahlrecycling: Die Wärmestrahlung von elektrischen Lichtbögen kann Eisenschrott auf über 3.000 Grad Celsius erhitzen und so einschmelzen. Die Stahlindustrie ist also bei der Elektrifizierung von energieintensiven Prozessen vorne mit dabei. 

Wie sieht es abseits von Wärmeenergie aus? 

ABB ist bei der Elektrifizierung von zahlreichen Prozessen vorne mit dabei. Unsere Lösungen helfen zum Beispiel, schwere Nutzfahrzeuge elektrisch anzutreiben, etwa im Bergbau oder auf Baustellen. Auch auf der Schiene werden immer mehr Dieselantriebe durch unsere elektrischen Antriebssysteme ersetzt, zum Teil schon mit Batterien. Ob Schiffe, Seilbahnen oder Muldenkipper – wir finden für fast alle Bereiche des Mobilitätssektors Lösungen zur Elektrifizierung und öffnen damit die Tür zur Dekarbonisierung. 

Sie sprachen gerade vom Metallrecycling. Was passiert eigentlich mit Motoren von ABB, wenn sie das Ende ihres Lebenszyklus erreicht haben? 

Wir arbeiten intensiv daran, alle unsere Aktivitäten zirkulär zu gestalten. Elektromotoren von ABB sind ein gutes Beispiel für diese Ambition, weil sie zu nahezu 100 Prozent aus Metallen bestehen, die eine hohe Recyclingfähigkeit besitzen. Im vergangenen Jahr haben wir in Deutschland eine Partnerschaft mit dem Recyclingunternehmen Remondis abgeschlossen, um unser Recyclingangebot für Elektromotoren auszubauen. Dafür setzen wir uns klare Ziele: Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent unserer Produkte nach den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft behandelt werden – und das konzernweit. 

Prozent
des Stroms von ABB Motion stammen aus erneuerbaren oder CO2-freien Energiequellen.
GWh
weniger Strom als 2021 haben die Betriebe von ABB Motion in 2022 verbraucht.
Prozent
weniger Treibhausgasemissionen als 2019 (Scope 1 und 2) im Jahr 2022.

Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz, Dekarbonisierung – Nachhaltigkeit hat viele Aspekte, die oft recht abstrakt erscheinen können. Welche konkreten Beispiele gibt es außer dem Motorrecycling, die das Commitment von ABB zeigen? 

Nachhaltigkeit ist abstrakt, aber schon die ursprüngliche Definition macht es einfach, konkrete Ideen daraus abzuleiten. Der Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1987 hat das heutige Verständnis von Nachhaltigkeit wesentlich geprägt. Er besagt: Eine Entwicklung ist dann nachhaltig, wenn sie die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. 

Entwicklungen bei ABB, die diesem Anspruch entsprechen, gibt es viele. Die wichtigste ist vielleicht, dass wir die eigenen Treibhausgasemissionen und die unserer Lieferanten von 2019 bis 2022 bereits um 65 Prozent reduziert haben. Das erreichen wir unter anderem durch immer mehr ABB-Standorte, die sich unserer Mission to Zero anschließen. 

Die Geschäftseinheit Antriebstechnik bezieht schon jetzt rund 98 Prozent des Stroms aus erneuerbaren oder CO2-freien Energiequellen. Hinzu kommt, dass wir die Angebote zur Energieeffizienz natürlich auch in unseren eigenen Werken umsetzen. So konnten wir den Stromverbrauch über alle Standorte hinweg bis 2021 um 15 Prozent reduzieren. 

Es gibt noch viel zu tun auf dem Weg in eine nachhaltige und zirkuläre Welt. Aber wir sind auf einem guten Weg, und wir nehmen die Aufgabe ernst. Energieeffizienz ist ein effektiver Wegbegleiter. Die Angebote sind verfügbar, der Markt kann sie umsetzen. Das sind die Quick Wins bei der Bekämpfung des Klimawandels, die wir jetzt angehen müssen. 

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