Nachhaltiger Baustoff der Zukunft: Roboter­­gewickeltes Furnier­holz

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Intro

Forschende der Universität Kassel haben ein Verfahren entwickelt, bei dem dünnes Furnierholz mithilfe von Robotern gewickelt und verklebt wird, um hochfeste, stabile und extrem leichte Konstruktionen zu ermöglichen. Dieser nachhaltige Ansatz eignet sich besonders für die Aufstockung und Modernisierung von Gebäuden. Im Projekt „3DWoodWind“ werden mithilfe von ABB-Robotern Deckenelemente und Stützpfeiler computergesteuert gefertigt. Das Projekt bietet Bauherren innovative und nachhaltige Lösungen, die präzise Bauteile ohne Nacharbeit ermöglichen und neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.

Herausforderung: Parametrisierte Robotersteuerung

Furnierholz hat die besondere Eigenschaft, dass es die mikrostrukturellen Eigenschaften des Ursprungsholzes behält und sehr stabile Konstruktionen bei sehr geringen Dicken und minimalem Gewicht erlaubt. Allerdings muss es dazu falten- und knickfrei aufgetragen und mit hohem Druck verklebt werden. Und: Für die Tragwirkung ist es notwendig, die natürliche Faserrichtung des Holzes innerhalb der Bauteile optimal auszurichten. Im Gegensatz zur traditionellen Verarbeitung lassen sich hierbei aber keine Pressen einsetzen. Dies kann nur über hohe Zugkräfte bei der Applizierung des Furnierbandes erreicht werden.

Bei der Fertigung der gewickelten Holzkonstruktionen muss eine völlig andere und neue Herangehensweise gewählt werden, da die Bewegungen äußerst komplex und variabel sind. Es gilt, über Algorithmen die Bewegungen der Roboterarme synchron zur Drehbewegung des zu umwickelnden Rohkörpers zu steuern. Die Applizierung muss außerdem für einen hohen Zug sorgen, um den nötigen Anpressdruck für den Kleber – ein Polyurethan-Holzleim – zu erzeugen.

Anders als bei üblichen Baukonstruktionen kommt es hierbei auf millimetergenaue Arbeit bei dreidimensional komplexen Gebilden an, die mit jeder Schicht andere Dimensionen einnehmen. Das 48 Millimeter breite und nur 0,5 Millimeter dicke Furnierband muss bei der Applikation auf das Schalungselement hochpräzise, falten- und verzugsfrei aufgetragen werden. Das ist vergleichbar mit dem Versuch, einen Papierstreifen um eine Vase zu wickeln, ohne dass es auch nur eine Falte gibt und ohne dass der dünne Streifen reißen darf, obwohl er unter großem Zug steht.

Eigene Softwareentwicklung in der CAD Umgebung „Rhinoceros“ und „Grasshopper“

Für die Umsetzung der Idee, mit einem Roboter Furnierholz zu verarbeiten, hat der Lehrstuhl die 3D-Modellierungssoftware Rhino (als Basis) und Grasshopper eingesetzt. Grasshopper ist ein algorithmischer Modellierungseditor, der ein parametrisiertes Design ermöglicht ‒ das heißt, Veränderungen in den Parametern wirken sich sofort auf die Modellierung aus.

Im Gegensatz zu traditionellen Modellierungsmethoden ermöglicht Grasshopper es Benutzern, Modelle mithilfe visueller Programmierung zu erstellen. Das Tool verwendet dafür sogenannte „Knoten“ (Components) und „Verbindungen“ (Wires), um Algorithmen und Prozesse zu erstellen. Für die Ansteuerung der ABB-Roboter haben Prof. Eversmann und sein Team das als open-source verfügbare Plugin „Robot Components“ entwickelt. Damit können die Studierenden in einem 3D-Modell auf Basis eigener Bauteilzeichnungen die Bauprozesse und Roboterbewegungen intuitiv planen und simulieren. Die Robot-Components erzeugen darüber hinaus auch gleich den Programmcode zur Ansteuerung der ABB-Roboter. Weiterhin ist es möglich, die Daten direkt in ABB RobotStudio zu importieren.

Hierbei kommt es auf millimetergenaue Arbeit an: Das Furnierband muss bei der Applikation hochpräzise, falten- und verzugsfrei aufgetragen werden.

„Für das Erlernen der Robotersteuerung war es für die Studierenden zusätzlich sehr hilfreich, mit ABB RobotStudio als Simulationssoftware den Programmcode gefahrlos prüfen zu können, denn eine Fehlfunktion in der Realität kann auch schnell zu einem teuren Crash führen.“

Prof. Philipp Eversmann

Umsetzung mit Robotern

Die Anlage wurde für den Einsatz über eine Absolut-Vermessung von einem ABB-Techniker vor Ort auf höchste Genauigkeit optimiert, um die notwendige Präzision zu erreichen. Hierbei zeigte sich, dass die Anforderungen an die Robotersteuerung wesentlich höher sind als in der herkömmlichen industriellen Produktion.

Für den Klebstoffauftrag hat die Uni Kassel zusammen mit den Firmen OEST und Jowat einen ausgefeilten Endeffektor mit Pumpsystem entwickelt.

1Er kann das Furnierband aus Buchenholz, das auf 200-Meter-Rollen angeliefert wird, zugleich extrudieren, beleimen und automatisiert zuschneiden.
2Über zwei integrierte Druckfedern im Endeffektor lässt sich eine definierte Zugkraft auf das Furnierband einstellen.
3Dies gewährleistet einen ausreichenden Anpressdruck für die Verklebung im Wickelprozess. Eine nachträgliche Verpressung über Schalungen oder Vakuumsäcke ist nicht mehr notwendig.

„Es hat sich gezeigt, dass der algorithmische, parameterorientierte Steuerungsansatz, das Verfahren erst mit relativ kleinen Robotern zu entwickeln und dann auf eine große Anlage zu übertragen, hervorragend funktioniert.“

Prof. Philipp Eversmann

„In Zukunft wollen wir diese Steuerung für die Produktion von nachhaltigen Fassaden-Profilen weiterentwickeln, bei der aktuell fast immer Aluminium verwendet wird, was einen sehr großen CO₂-Fußabdruck hinterlässt.“

Lieber schauen als lesen? Dann genieße das Video:

Auswahl von ABB

Die Uni Kassel arbeitet schon länger mit ABB Robotics zusammen und schätzt dabei den engen Austausch. Wichtig für den Einsatz der Roboter ist auch die enorme Vielfalt an Optionen, mit denen sich die Geräte ausstatten lassen, gerade weil die Universität die Technik nicht im üblichen Sinne einsetzt, sondern damit Forschung betreibt.

ABB unterstützte in diesem Forschungsprojekt die Universität aktiv durch die Bereitstellung diverser Hardware-Komponenten und durch den Einsatz von Fachpersonal bei der Einrichtung, Konfiguration und bei besonderen Herausforderungen.