Neue Maschinen­ver­ordnung: Was kommt auf die Industrie zu?

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Am 20. Januar 2027 ist es so weit: Die Maschinenverordnung (MVO) tritt in Kraft. 42 Monate nach der Veröffentlichung im Juni 2023 kommt die „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maschinenprodukte“ und löst die Maschinenrichtlinie von 2006 ab. Welche Unterschiede gibt es und was müssen Betreiber beachten? Andreas Schader, Experte für Standardisierung und Normung bei ABB Motion, über die Bedeutung für Unternehmen in den EU-Mitgliedstaaten.

Herr Schader, am 29. Juni 2023 wurde die EU-Maschinenverordnung veröffentlicht. Was hat es mit der Vorgabe auf sich?

Die Verordnung dient der Maschinensicherheit und stellt dafür verbindliche Gesundheitsschutz- und Sicherheitsanforderungen an Hersteller und Inverkehrbringer. Die Europäische Union will damit die Sicherheit der Personen gewährleisten, die mit Maschinen arbeiten oder von ihnen umgeben sind.

Bisher gilt die Maschinenrichtlinie. Was bedeutet es, dass diese nun durch eine Verordnung abgelöst wird?

Eine EU-Verordnung ist im Gegensatz zu Richtlinien von ihrer „Durchgriffswirkung“ für alle Mitgliedstaaten charakterisiert. Es bedarf also keiner Umsetzung in nationales Recht, stattdessen ist die Verordnung unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten der Union gültig und rechtlich verbindlich. Im Sinne EU-weit harmonisierter rechtlicher Vorgaben ist das positiv, denn so müssen Betroffene nicht weiter mit nationalen Implementierungen umgehen, die in Details immer unterschiedlich ausgestaltet sein können.

Sehen Sie neben diesem Vorteil auch juristische Herausforderungen?

Eine Hürde ist lediglich, dass es beim Wechsel des Rechtsakts keine parallele Geltung von alter Richtlinie und neuer Verordnung geben wird, so wie es beim letzten Wechsel 2006 in Deutschland der Fall war. Es handelt sich also um einen härteren Stichtag. Ein Problem wird dabei die Normung sein. Denn unter der Maschinenrichtlinie existieren etwa 800 harmonisierte Normen. Jede einzelne von ihnen muss angefasst werden und neue Harmonisierungsannexe erhalten. Im Mittelpunkt steht dabei, dass die Maschinenverordnung erstmals auch Vorgaben zur Cybersecurity macht.

Gibt es davon abgesehen weitere Neuerungen, zum Beispiel in Bezug auf die betroffenen Maschinen?

Die Verordnung betrifft genau wie die Richtlinie, die sie ablöst, Maschinen wie Hebezeuge, Sicherheitskomponenten oder sogenannte unvollständige Maschinen. Also eine Komponente, die erst mit weiteren Bauteilen die Funktion einer Maschine erfüllt.

Sie sprachen von neuen Cybersecurity-Anforderungen. Was bedeuten diese konkret?

Die EU fordert von den Herstellern, Maßnahmen gegen Cyberbedrohungen in die Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen ihrer Maschinen zu integrieren. Dabei müssen Akteure beachten, dass sich die Anforderungen der Maschinenverordnung in diesem Bereich mit dem gerade im Entstehen begriffenen Cyber Resilience Act überlappen werden. Und beide entstehenden Standards müssen wiederum auf dem Standard IEC 62443 basieren, der die Security im industriellen Umfeld regelt. Man kann jedem Betroffenen nur raten, sich zu diesem Thema auf dem Laufenden zu halten, denn die Erfüllung der Vorgaben ist verpflichtend. 

Änderungen bei den Konformitätsverfahren betreffen sechs Maschinentypen, für die jetzt explizit die Baumusterprüfung verpflichtend wird. Die Bedeutung dieser Baumusterprüfungen zeigt sich zum Beispiel bei Bolzenschussgeräten: Sie enthalten Schwarzpulver, plötzlich spielt also auch das Waffenrecht eine Rolle. Auch für Sicherheitskomponenten mit Künstlicher Intelligenz, deren Verhalten nicht deterministisch ist, sondern sich über die Zeit ändert, werden künftig Baumusterprüfungen verpflichtend sein.

Die Dokumentation durch Hersteller und Inverkehrbringer kann in Zukunft auch digital mitgeliefert werden. Ist das die Umsetzung des geplanten digitalen Produktpasses?

Nein, das ist ein großer Unterschied: Der aktuell stark diskutierte digitale Produktpass existiert nur unter der sogenannten Ecodesign Sustainable Product Regulation als wesentlicher Bestandteil der Pläne der EU-Kommission für umweltfreundlichere und kreislauforientierte Produkte. Bei der digitalen Dokumentation im Sinne der Maschinenverordnung geht es darum, dass die Dokumentation nicht mehr zwingend in Papierform mitgeliefert werden muss. Das entspricht auch den Wünschen einer Vielzahl von Anwendern, die diese Dokumente ohnehin nur noch digital erhalten und speichern möchten. Eine Ausnahme bilden die Sicherheitshinweise für B2C-Produkte, hier ist nach wie vor die Papierform Pflicht.

Welche Produkte sind in Ihrem Geschäftsbereich Motion eigentlich von der Verordnung betroffen?

In der Antriebstechnik sind alle Sicherheitskomponenten betroffen. Hinzu kommen Mittelspannungs-Motoren und -Umrichter, wenn sie gemeinsam mit Antrieben verkauft wurden, also im Sinne der Maschinenverordnung zu „unvollständigen Maschinen“ werden, oder wenn es sich um Sicherheitskomponenten handelt.

Und welche Unterschiede gibt es in Sachen Maschinensicherheit in anderen Regionen wie Amerika oder Asien?

Die amerikanischen Systeme sind denen in Europa recht ähnlich. Das CE-Zeichen hat aber eine große Strahlkraft und wird im Markt auch außerhalb Europas beachtet. Die Einhaltung europäischer Normen gilt weltweit als Qualitätsmerkmal.

Was ist die Maschinenrichtlinie?

Die Maschinenrichtlinie ist eine europäische Richtlinie (Richtlinie 2006/42/EG), die die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für Maschinen festlegt, die in der Europäischen Union in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden. Sie trat am 29. Dezember 2009 in Kraft und ersetzte die vorherige Maschinenrichtlinie (Richtlinie 98/37/EG). 

Der Zweck der Maschinenrichtlinie besteht darin, ein möglichst hohes Maß an Sicherheit für Personen zu gewährleisten, die mit Maschinen arbeiten oder von ihnen umgeben sind. Sie legt die Mindestanforderungen fest, die Maschinen erfüllen müssen, um sicher zu sein und den europäischen Rechtsvorschriften zu entsprechen.

Die Maschinenrichtlinie gilt für eine breite Palette von Maschinen: neben Industriemaschinen etwa Landwirtschaftsmaschinen, Baumaschinen, Werkzeugmaschinen, Aufzüge, Druckbehälter, elektrische Geräte und viele andere. Sie gilt auch für Sicherheitsbauteile, die in Maschinen verwendet werden.

Die Richtlinie legt die Verpflichtungen der Hersteller fest und fordert sie auf, eine Risikobeurteilung ihrer Maschinen durchzuführen, technische Unterlagen zu erstellen, die Konformität mit den Anforderungen nachzuweisen, die CE-Kennzeichnung anzubringen und eine Konformitätserklärung auszustellen. Darüber hinaus gibt sie Anforderungen für die Inbetriebnahme, den Betrieb, die Wartung und die Überwachung von Maschinen vor.

Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, nationale Rechtsvorschriften zu erlassen, um die Einhaltung der Maschinenrichtlinie sicherzustellen. Sie müssen auch zuständige Behörden benennen, die für die Überwachung der Einhaltung und die Durchführung von Marktüberwachungsmaßnahmen verantwortlich sind.

Die Maschinenrichtlinie hat zum Ziel, den freien Verkehr von Maschinen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums zu erleichtern und gleichzeitig einen hohen Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Benutzer zu gewährleisten.

Mit Verabschiedung der Maschinenverordnung wird die bisherige Maschinenrichtlinie künftig ersetzt. Anders als eine Richtlinie muss sie nicht von den einzelnen EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden, sondern ist unmittelbar gültig. Nach der Veröffentlichung im Juni 2023 und einer Frist von 42 Monaten wird die neue Maschinenverordnung im Januar 2027 in Kraft treten.