Logistik-Experte im Inter­view: „Roboter werden weitere Sinne be­kommen“

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Wie kaum ein anderer Industriezweig ist der Logistiksektor unter einem enormen Kosten- und Innovationsdruck. Wir sprachen mit Julian Bröcheler, Portfoliomanager bei ABB Robotics, über aktuelle Entwicklungen, zukünftige Trends und was ihn gereizt hat, bei ABB anzuheuern.

Herr Bröcheler, wie sah Ihr Einstieg in die Welt der Logistik aus?

Ich bin ausgebildeter Wirtschaftsingenieur und habe schon während des Studiums einen Schwerpunkt auf Robotik und Logistik gelegt. Mich hat dieses Thema gereizt, und die Faszination für Automatisierung prägte meinen weiteren beruflichen Werdegang. So fing ich nach dem Studium bei einem weltweit führenden Logistikkonzern als Projektmanager an. Dort habe ich mit einem Team Einsatzgebiete für Robotik in der Logistik definiert und erprobt. Wenn sich die jeweiligen Technologien bewährt haben, wurden sie dann innerhalb des Unternehmens auf die passenden Anwendungsszenarien ausgerollt.

 

Klingt nach einem spannenden Job. Wie kam es, dass Sie zu ABB gewechselt sind?

Mich hat das Thema Robotik seit jeher fasziniert und so lag der Schritt nahe, zu einem der führenden und innovativsten Robotikanbieter der Welt zu wechseln. Ich wollte nicht nur Anwender von Technologie sein, sondern diese mitgestalten. Bei ABB haben mich die Internationalität und die enormen Möglichkeiten gereizt, die das Unternehmen bietet. Konkretes Beispiel: Ich bin jetzt gerade an unserem Standort in der Nähe von Brüssel, an dem wir die nächste Generation unserer Logistiklösungen und -Zellen entwickeln. Ich bin Teil eines interdisziplinären Expertenteams aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen und habe die Chance, die zukünftigen Produkte aktiv mitzugestalten und neue Applikationen zu entwickeln, die unsere Kunden besser machen. Das Umfeld – top Talente und der Zugriff auf die neuesten Technologien – ist aus meiner Sicht einzigartig.

"Bei der Einführung von Automation und dem Testen neuer Technologien ist der deutsche Markt im internationalen Vergleich vorne."

Sie arbeiten in einer globalen Position. Wie sehen Sie Deutschland im Bereich Automatisierung der Logistik im Vergleich zum internationalen Umfeld?

Bei der Einführung von Automation und dem Testen neuer Technologien ist der deutsche Markt im internationalen Vergleich vorne. Treiber für Innovation sind der harte Wettbewerb sowie das relativ hohe Lohnniveau in Deutschland. Denn Robotik und Automatisierung konkurrieren wirtschaftlich betrachtet oft mit der menschlichen Arbeitskraft und müssen sich der Frage stellen, was die Investition unterm Strich bringt. Für deutsche Unternehmen rechnet es sich, monotone und körperlich belastende Aufgaben durch Roboter zu ersetzen. In Asien wiederum werden Tätigkeiten – wie etwa Pakete unter 5 Kilogramm zu heben – noch häufiger manuell ausgeführt, da es einen Arbeitsmarkt für solche Tätigkeiten gibt. Doch sehen wir auch außerhalb Deutschlands und Europas zunehmend eine Verknappung der Arbeitskräfte, so dass anstrengende Tätigkeiten wie Palettieren und Depalettieren auch in Niedriglohnländern automatisiert werden.

 

Wie einfach lassen sich denn Aufgaben auf Roboter übertragen?

Bei aller Euphorie und Technikbegeisterung sind Menschen doch deutlich vielseitiger und flexibler einsetzbar als Roboter. Einfaches Beispiel: Für eine Fachkraft ist das Palettieren und Depalettieren ein und derselbe Lernschritt, für eine Robotiklösung sind es komplett unterschiedliche Anwendungen, die gelernt werden müssen. Eine Robotikanwendung für das Palettieren kann nicht automatisch Depalettieren. Entsprechend wichtig ist es zu Beginn eines Projekts, die Erwartungen korrekt zu steuern und zu prüfen, was aus technologischer und wirtschaftlicher Sicht möglich ist. Für Kunden mit wenig oder gar keiner Robotik-Erfahrungen ist das Item-Picking mit maschineller Bildverarbeitung in der Regel ein guter Einstieg. Wir stellen zu Beginn des Projekts Bild- und Simulationsmaterial zur Verfügung, so dass der Kunde erste Erfahrungen sammeln kann. Und mit unserer Software RobotStudio sind wir schnell in der Lage, auf den Kundenfall zugeschnittene Simulationen zu erstellen und dem Unternehmen zu zeigen, was möglich ist und wo Grenzen sind. Dann werden Tests gefahren und wir schaffen eine Grundlage, um eine Entscheidung zu treffen.

Welche Aufgaben der Logistik können Roboter bereits heute übernehmen?

Unsere interaktive Grafik bietet einen idealen Überblick.

In welchen Industrien sehen Sie die größten Potenziale?

Das kann man so pauschal nicht beantworten, da nahezu in allen Industriebereichen Logistik und Intralogistik eine Rolle spielen. Doch sehen wir einen enormen Schub im E-Commerce. Beim Online-Handel denkt man zunächst an das Frontend des Shops. Doch Herzstück eines erfolgreichen E-Commerce-Modells ist die effiziente Logistik. Bei den Logistikprozessen besteht die Herausforderung für die Mitarbeitenden darin, Produkte schnell und effizient für die weiteren Schritte zu sortieren. Dabei stoßen sie aufgrund einer zunehmenden Paketvielfalt und steigenden Volumina immer häufiger an Kapazitätsgrenzen. Zudem machen Trends wie 24-Stunden-Lieferungen die Aufgaben in der Logistik noch komplexer. Und geeignetes Personal zu finden wird zunehmend eine Herausforderung, da viele Tätigkeiten in der Logistik monoton und ermüdend sind. Hier ist die Automatisierung eine Alternative. Sie ermöglicht einen deutlich schnelleren Warenumschlag und eine effizientere Abfertigung, wodurch die Waren viel zügiger zum Kunden gelangen.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie werden sich Robotik und Automatisierung in den kommenden Jahren verändern?

Die Robotik hat sich schon immer am menschlichen Vorbild orientiert. So sprechen wir ja von einem Roboterarm. Die Kinematik der Roboter wird sich in den kommenden Jahren weiterentwickeln. Zukünftige Robotermodelle könnten noch komplexere, menschenähnliche Bewegungsabläufe nachahmen, was ihre Anwendbarkeit in einer Vielzahl von Umgebungen, einschließlich solcher, die speziell für menschliche Interaktionen und Tätigkeiten entwickelt wurden, erhöhen würde. Und auch bei den Sinnen wird es eine Evolution geben. Durch Bildverarbeitung und Vision-Systeme haben heutige Roboter bereits einen Sehsinn. Dank der Weiterentwicklung der maschinellen Bildverarbeitung und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) werden Roboter in der Lage sein, Objekte mit hoher Geschwindigkeit und notwendiger Genauigkeit zu erkennen. Dies ermöglicht eine viel präzisere und effizientere Handhabung in verschiedenen Anwendungen, von der Lagerlogistik bis zur Produktion.

Darüber hinaus werden Roboter vermutlich weitere ‚Sinne‘ entwickeln. Ein Beispiel ist der Hörsinn, der es Robotern ermöglichen könnte, auf akustische Signale in ihrer Umgebung zu reagieren. Dies könnte in Szenarien wie der Qualitätskontrolle, wo Geräusche auf Produktfehler hinweisen könnten, oder in interaktiven Umgebungen, wo Roboter auf menschliche Sprachbefehle reagieren, besonders nützlich sein. Auch der Geruchssinn ist denkbar, obwohl dies noch in einem sehr experimentellen Stadium ist. Diese Entwicklung könnte in der Lebensmittelindustrie oder in der Gefahrenstofferkennung angewendet werden.